Salers - Le Puy-en-Velay

Freitag, 6. Juli 2007


Col de NeronneIch bin zwar nicht erfroren in der Nacht, aber irgendwann musste ich mir noch ein T-Shirt überziehen, da die Temperatur wohl auf unter zehn Grad abgefallen ist. Als ich aufwache, tropft der Regen noch immer aufs Zelt. Dicker Nebel hängt über mir. 11° zeigt das Thermometer. Das sind ja schöne Aussichten...

Ich koche Kaffee und zögere das Frühstück hinaus. Aber irgendwann hilft alles nichts: im strömenden Regen packe ich meine Sachen zusammen und rolle das nasse Zelt ein. Und mir fällt auf, dass ich bisher, bei allen Wetterkapriolen auf dieser Tour, in diesem Punkt doch Glück hatte. Im Büro sitzt ein zerknirschter Verwalter, der fatalistisch den Kopf schüttelt: quel sale temps... Angesichts der Leere auf dem Platz kann er mit dem Wetter wirklich nicht zufrieden sein. Und es soll so bleiben, fügt er an und seine grauen Augen wandern zum Himmel, mindestens bis Mitte Juli. Schnell erkenne ich, dass ich ihn auch nicht trösten kann, bezahle meine schmale Rechnung und schwinge mich aufs Rad, und schon auf den ersten Metern spritzt das Wasser an meinen Beinen hoch.

Sofort geht es bergan. Ein Glück, denn so wird meine ausgekühlte Muskulatur etwas warm. Vor mir liegt der Anstieg zum Pas de Peyrol mitten im Parc régional des Volcans d'Auvergne. Sechshundert Höhenmeter vielleicht, nichts was mich noch schrecken könnte. Wäre nicht der Nebel, könnte ich mir sicher sein, dass ich heute einen der schönsten Pässe dieser Tour fahren. Aber so schließe ich aus der Aussicht, die ich gestern noch genossen hatte, der Topografie und dem Sträßchen, das sich zum Col de Neronne, dem ersten Pass, hochwindet, dass es wohl so sein muss. Und ich bin froh, dass ich wenigstens gestern abend noch Fotos von den Vulkanen gemacht habe. Eine Gaststätte auf dem Col de Neronne wartet auf Gäste, Dutzende von freien Tischen stehen im Regen.

Col du Pas de PeyrolEs folgt eine kurze Abfahrt, dann geht es fast übergangslos in die Auffahrt zum Pas de Peyrol. Flach, verdächtig flach, denn ein Schild kündet von einer durchschnittlichen Steigung von 9,6 % auf den nächsten 5 Kilometern. Das dicke Ende kommt also noch. Courage!Unzählige Wildbäche stürzen sich von den steinigen Abhängen. Die Autos, die mir bisher begegnet sind, kann ich an einer Hand abzählen. Der Regen hat sich zwischenzeitlich zu einem feinen Nieseln gewandelt, doch je höher ich komme, um so stärker wird er wieder. Ich wundere mich selbst, dass ich so guter Laune bin. Um so mehr, als das dicke Ende tatsächlich kommt: 15-16 % Steigung auf den letzten drei Kilometern. Hier komme ich mit meiner Übersetzung von 34 x 30 tatsächlich an meine Grenzen. Schlangenlinien sind das Resultat. Oben das gleiche Bild wie schon am Col de Neronne: Eine Gaststätte mit qualmendem Schornstein, leere Tische im Regen.

Col du Pas de Peyrol

Meine Hoffnung auf Wetterbesserung jenseits des Passes erhält neue Nahrung während der Abfahrt. Ein atemberaubendes Tal liegt vor mir, und kurz, sehr kurz, blitzt die Sonne zwischen den Wolken durch.Col du Pas de Peyrol - Abfahrt

Murat ist ein kleines Städtchen im Tal der Alagnon. Hübsch, mit viel Leben im Zentrum an diesem Samstag morgen. Ich finde einen kleinen Lebensmittelladen und eine Bäckerei. Und endlich das, wonach mir am meisten verlangt: Sonne! Beglückt schwinge ich die Kurbeln.

MuratSt. Flour heißt meine nächste Station. Die Stadt ist geteilt in eine Oberstadt und - von oben beeindruckend zu sehen - einer Unterstadt. Der Höhenunterschied ist gewaltig und über ein steiles Sträßchen gelange ich nach unten. Es tut mir weh, in wenigen Minuten so viele Höhenmeter zunichte zu machen. Ich erkundige mich im Bahnhof nach Verbindungen von Le Puy, meinem heutigen Ziel, nach Lyon. Der Schalterbeamte zeigt spürbares Interesse für meine Streckenwahl und wir kommen kurz ins Reden. Vielleicht sollte ich immer, wenn mir nach einem Gespräch zumute ist, kurz zum Bahnhof fahren. Dort sitzen schließlich die Spezialisten fürs Reisen...

90 Minuten später lege ich an einer Picknickbank am Wegesrand Pause ein. Keine gute Idee. Denn kaum habe ich alles ausgepackt, stürzt sich eine Horde Stechmücken auf mich. Ich streife - erfolglos - Armlinge und Beinlinge über, die Biester stechen glatt hindurch. So ist diese Pause recht schnell beendet. Auf der Strecke bleiben vielleicht ein Dutzend tote Mücken. Etwa ebenso viele Stiche weist mein geschundener Körper auf.

LangeacAuf meiner Karte ist der Großteil der heutigen Route mit einer grünen Markierung versehen: landschaftlich schöne Strecke. Zurecht, wie ich finde. Weitläufige Hügel, Weiden, Getreidefelder, Wälder. Blauer Himmel. Und bei alledem immer noch der Rückenwind. Ich quere die Allier bei Langeac und folge dem Auf und Ab der Straße. Vergnügt.

Le Puy-en-Velay ist, wie ich vermutet hatte, eine quirlige Angelegenheit. Eine lebendige, sehenswerte Innenstadt. Und jede Menge Rucksackreisende. Hier ist einer der Startpunkte für den Jakobsweg. Dementsprechend ist der Campingplatz mit Zelten reich bestückt.

...it's hard, to be a hard man like me...Es war mein letzter Tag auf dem Rad. Nicht, dass ich mich nach dem Ende meiner Tour sehne, es ist wie bei einem üppigen Mahl: man genießt das Dessert und ist's zufrieden. Mein Menü hatte so etwa neun Gänge. Und nicht jeder bietet dem Gaumen die volle Vielfalt. Aber zusammen ergibt es etwas Rundes: meine Tour d'Occitanie, die ich im Voraus nur grob entworfen hatte, ohne wirkliche Idee davon, wie weit es sein mag und welche Widrigkeiten auf mich warten. Widrigkeiten? Ja, der Blues des lonely rider... Wenn der Blues kommt, musst du im richtigen Moment jemanden finden, der dir das Gefühl gibt, dass du nicht allein bist auf deinem langen Weg. Und wenn nicht, musst du das Lied von Ullrich Rosski trällern: I'm a lone-, lonesome rider, it's hard, to be a hard man like me. Und schon geht's dir ein kleines Stück besser.

Le Puys-en-VelayFür den Abend kaufe ich mir eine feine Flasche Bordeaux. Das Ende ist erreicht. Morgen früh, 8.15 Uhr steige ich in den Zug nach Lyon, von dort geht es weiter in Richtung Heimat. Die Bahnstrecke nach Lyon führt durch das phantastische, sonnendurchflutete Tal der Haute-Loire, wo Paul Fournel, Autor von "Besoin de Vélo", seine ersten Kreise auf dem Rad gezogen hat. Und plötzlich kann ich verstehen, wie jemand, der die meiste Zeit seines Lebens in Paris verbracht hat, ein so tiefsinniges Buch über die Lust am Radfahren schreiben kann.
 

"Beim Radfahren existiert ein animalischer Bezug zur Welt: die Berge, die man vor sich sieht, wollen erklettert werden, die Täler wollen durchfahren werden, der Schatten ist dazu da, um sich zu verbergen und sich auszustrecken. Sich in der Landschaft zu befinden, in ihrer Hitze, ihrem Regen, ihrem Wind, bedeutet, sie mit anderen Augen zu sehen, sich instinktiv und tief von ihr durchdringen zu lassen. Der Berg vor mir ist kein Berg, er ist in erster Linie ein Anstieg, den es zu bezwingen gilt, Prüfung, Zweifel, bisweilen auch Beunruhigung. Auf dem Gipfel ist er Eroberung, Leichtigkeit. Ich habe ihn eingenommen und er ist in mir.

Auf gewisse Weise ist die schöne Wälderlandschaft des Izoard Teil von mir, die felsigen Abhänge des Aubisque sind Teil von mir, die Schluchten des Tarn und des Verdon und der Wald von Rambouillet. Ich habe sie mit meinem Schweiß getränkt. Sie waren nie ein Spektakel, sie waren Spielgefährten."

 

Strecke:

167 km

Zeit:

8:04 h

Schnitt:

20,7 km/h

Höhendifferenz:

2429 m

Gesamtstrecke

1421 km

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