Freitag, 16. September 2005
Mitunter ist es in den Pyrenäen sogar schwierig, sein Geld loszuwerden. Niemand kommt hier morgens auf den Zeltplatz, um zu kassieren. Auch in der Bäckerei und im Krämerladen können sie uns nur vage Angaben zum Pächter machen, aber hilfsbereit, wie die Menschen hier sind, telefonieren sie von Hinz nach Kunz, bis mir irgendwann eine Dame am Telefon erklärt , dass sie demnächst vorbeikommen werde und die Übernachtungsgebühr entgegennehmen würde. Die Minuten verstreichen, keiner kommt. Schließlich legen wir das Geld vor die Rezeption und machen uns davon. Während des Wartens freunden wir uns mit einem großen schwarzen Hund an und machen den nächsten Fehler, indem wir ihm einen Apfel zum Apport zuwerfen. Das findet er so klasse, dass er uns mit dem Apfel im Maul wohl fünf Kilometer die Straße lang verfolgt, begierig auf eine Fortsetzung des Spiels. Irgendwann gelingt es uns, ihn abzuhängen. Armer, spielsüchtiger Hund!
So sind wir im Nu in Arrens, am Fuß des Col du Soulor , und wieder wartet eine Bilderbuchauffahrt auf uns. Unterwegs treffen wir auf drei Franzosen, und vom Col du Soulor (1474 m) aus machen wir, auf einer sanft ansteigenden Straße mit umwerfendem Rundblick, gemeinsame Sache bis zum Col d'Aubisque, 10 Kilometer weiter und 235 Meter höher. Ihrer Einladung zu einem Kaffee kommen wir gerne nach. Sie leben, wie so viele hier, vom Tourismus, andere leben von der Wasserkraft oder von den spärlichen Erträgen der Landwirtschaft in den Tälern, von den Erzeugnissen der Viehwirtschaft in den Höhenlagen. Etliche arbeiten während der Woche in Tarbes oder Toulouse, in der Flugzeugindustrie. Unser Gegenüber, der unten in Arrens einen Skiverleih betreibt, macht keinen Hehl aus seiner Heimatliebe. C’est sauvage, sagt er immer wieder, das Wilde daran, das gefalle ihm. Dann steigen sie aufs Rad und fahren wieder talwärts, zurück in ihr Dorf. Blickt man zurück auf die Straße, auf der sie langsam verschwinden, sieht man die verblichenen Namen der Tourhelden dieser Saison. Wenn der Schnee des Winters im nächsten Jahr geschmolzen ist, wird wieder Platz sein für neue Namen, neue Helden, neue Geschichten. Die Euphorie wird neue Blüten treiben. Es ist ein Kommen und Gehen, selbst hier, wo die Ewigkeit nur einen Steinwurf entfernt scheint.
Die Abfahrt nach Laruns ist, von der anderen Seite befahren, einer der meistgefürchtetsten Anstiege im Peloton. 18 Kilometer zum Teil heftige Steigungsprozente, ohne einen Moment der Erholung. Wir fahren bis Bielle, legen bei einer Art Freizeitgelände mit Picknick-Bänken Rast ein. Ein Gemeindearbeiter stellt, als er uns wahrnimmt, seinen Rasenmäher ab und macht sich woanders zu schaffen. Für heute steht noch der Col de Marie-Blanque auf dem Streckenplan. Die Straße führt uns in ein nebliges Hochtal, kurze, heftige Steigungen wechseln ab mit langgezogenen faux plats. Um halb fünf stehen wir auf der Passhöhe auf 1035 Meter, der Wind hat aufgefrischt, es ist kühler geworden. Hier oben herrscht wieder Einsamkeit - es ist anzunehmen, dass sich winters kein Skifahrer hierher verirrt; weder gibt es hier Lifte noch irgendein Etabissement, um dem Après-Ski zu frönen. Immerhin gratuliert uns die Region Pyrénées-Atlantiques zu unserer Leistung - so ist es auf dem Gipfel zu lesen. Die Schilder für die Radfahrer, mit denen die meisten Pässe hier im Kilometerabstand ausgestattet sind, helfen mit ihren Prozent- und Entfernungsangaben über manche Schwächephase hinweg.
Unser heutiger Zeltplatzin Osse-en-Aspe ist wieder einzigartig: ein großer, umzäunter Garten am Ortsrand mit sanitären Anlagen, warmem Wasser und zudem wunderbar ruhig - wir sind die einzigen Gäste.
Kilometer |
86 |
Fahrzeit |
5:14 h |
Schnitt |
16,4 km/h |
Höhenmeter |
1900 |