La Séoube - Argeles-Gazost

Mittwoch, 22. Juni 2016  


Der Tourmalet ist ein Muss einer jeden Pyrenäenüberquerung. Er liegt etwas westlich vom Mittelpunkt der Strecke, umgeben von Pässen, die in ihrer Höhe nicht an diesen Koloss von 2115 Meter heranreichen – unsere Vorfreude steigt mit dem Sonnenstand, auch wenn sich dies nicht unmittelbar in einer erhöhten Betriebsamkeit niederschlägt. Unter blauem Himmel trinken wir unseren Kaffee ohne falschen Ehrgeiz und räumen unseren Platz mit Bedacht. Um halb zehn Uhr begeben wir uns auf die Piste – eine für unsere Verhältnisse immerhin recht ordentliche Uhrzeit.

am TourmaletDas einzige Lebensmittelgeschäft in Sainte-Marie-de-Campan hat an diesem Vormittag bedauerlicherweise die Rollladen unten, so dass wir uns am Ortsausgang an einer Tankstelle mit ein paar Keksen versorgen. Es wird ein langer Anstieg werden: 17 Kilometer und etwa 1350 Höhenmeter. Hier treffen wir zu unserer Freude einen Radreisenden wieder, den wir gestern auf dem Col de Peyresourde kennengelernt hatten, ein Texaner, der seit ein paar Wochen durch Südfrankreich tourt – nicht zum ersten Mal. am TourmaletEr liebe dieses Land über alles und wann immer sein Job als Freelancer in der IT-Branche es hergebe, komme er hierher zum Radfahren. Wir brechen gemeinsam auf und bleiben für eine gute Weile zusammen, plaudernd, pedalierend und schwitzend. Er hat ordentlich Gepäck geladen und sein Leihrad, das er in Bordeaux angemietet hat, ist nicht in bestem Zustand, so dass wir ihn unterwegs wieder verlieren.

Von Weitem  sehen wir die Turmspitze auf dem Pic du Midi – Schneefelder liegen wie nachlässig hingeworfener Verputz auf seinen Flanken. Man ahnt, dass sich der Winter vor gar nicht allzu langer Zeit von hier verabschiedet hat. Eine Seilbahn führt über einen gewaltigen Abgrund hier hoch.

In La Mongie, diesem deplaziert wirkenden Wintersportort vier Kilometer unterhalb des Gipfels, herrschen hochsommerliche Temperaturen: Gelegenheit für eine kleine Verschnaufpause. Wir stellen die Räder zur Seite und kurz darauf biegt der Texaner auf den Platz ein. Hier erst bemerke ich, dass er mit offener Hinterradbremse fährt: seine Felge ist an zwei Stellen ausgerissen und die Speichen entsprechend ohne Spannung; er hängt seine Bremse erst bei der Abfahrt ein, um ein ständiges Schleifen der eiernden Felge an den Bremsklötzen zu vermeiden. auf dem TourmaletIch bewundere seinen Mut und versuche, nicht weiter darüber nachzudenken, was alles dabei passieren könnte.

Der Tourmalet ist ein Magnet. Alles, was ein Rennrad bewegen kann, scheint sich an diesem Tag hier oben zu versammeln. Eine Art Etappenrennen von einem holländischen Radtouristikunternehmen endet unter dem riesenhaften Monument zu Ehren Oscar Lapizes, der erste Rennfahrer, der den Tourmalet überquert hatte, und wir beobachten fasziniert, wie heftig kämpfende, schwer röchelnde Zeitgenossen die letzten Meter bewältigen, von Kamerateams umstellt, mit Mikrofonen traktiert. Dazu eine Beschallung aus dem Truck mit soliden Bässen. Ja, so gehe es im Sommer hier häufig zu, bestätigt eine der Servicekräfte hinter der Theke, und sie scheint dem ganzen Spektakel noch weniger abgewinnen zu können als wir. Mit dem Texaner verweilen wir lange Zeit inmitten des Trubels, danach verabschieden wir uns wieder, nicht ohne uns locker für einen der nächsten Tage zu verabreden. Wir haben mehr oder weniger die gleiche Strecke vor uns bis zum Atlantik.

AbfahrtIn Argeles-Gazost finden wir einen sympathischen Campingplatz etwas außerhalb des Zentrums, der weder mit Wohnmobilen zugeparkt ist noch mit Spaßprogrammen und Wasserrutschbahnen glänzt. In unserer Nähe campiert ein Paar aus dem Saarland, ihre Rennräder neben dem Campingbus wirken auf uns wie deutliche Signale zur Kontaktaufnahme. Es gibt viel Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede: unser Nachbar war im Frühjahr schwer erkrankt und nun dabei, aus einer neuen Perspektive und mit reduzierten Kräften die Berge für sich zu erobern. Als sich das Band der Milchstraße längst über dem Himmel spannt, sitzen wir noch immer. An diesem Abend ist die Luft so warm, dass wir auch um Mitternacht auf die Jacke gut verzichten können.

Strecke:

63 km

Höhendifferenz:

2690 m

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