Bastia - Ponte Leccia

Freitag, 14.06.2013    


| Strecke | Video |
im Hafen von MarseilleAll dies hier draußen hat nichts mit der Welt des modernen Reisens zu tun: Riesenschornsteine, die brüllen, schwere Eisenplanken, auf denen sich Pfützen gebildet haben und die wohl schon zwanzig Mal mit diesem für die Seefahrt typischen Hellblau überstrichen wurden, armdicke Taue, die über wuchtige Rollen eingezogen werden, nun, da wir in See stechen.  Den Luxus der schallisolierten Hochgeschwindigkeitszüge habe wir am Hafen von Marseille hinter uns gelassen um uns in dieser groben Wirklichkeit der Passagierschifffahrt für eine Nacht einzurichten. Es wäre alles akzeptabel gewesen: der Lärm der Maschinen, das Vibrieren des gigantischen Schiffsrumpfes, der heftige Wind, der uns nach Backbord treibt - aber nicht diese Partymusik aus den Boxen über dem hinteren Außendeck. In was für einer Welt leben wir? Muss alles zu einem Vergnügungspark verkommen? Muss der Sonnenuntergang über dem französischen Festland noch beschallt werden, damit er den nötigen Kick verleiht? Überfahrt nach KorsikaEine Menge schwergewichtiger Motorradfahrer stehen mit Bierflaschen in den Händen zwischen den Lautsprechern und feiern ihre gute Laune. Sie tragen Motoradkluft oder T-Shirts, die erkennen lassen, dass sie harte Kerle sind, die mit ihren Bräuten keine Herausforderung scheuen. Das Abenteuer lockt - für sie und ihre schweren Maschinen, die vier Stockwerke tiefer mit Stricken sturzsicher vertäut sind. Meine Braut und ich sind die einzigen mit Fahrrädern an Bord und die einzigen, die für die Nacht nicht den Schutz der Kabinen und der Liegesessel suchen. Wir halten beizeiten Ausschau nach einem windgeschützten Winkel auf Deck, wo wir unsere Schlafsäcke und Isomatten ausrollen können, ehe wir in Korsika wieder von Bord gehen.

Als wir nach einer erstaunlich ruhigen Nacht erwachen, tuckert unser Dampfer im Morgenlicht die korsischen Küstenhänge entlang. Es ist wirklich schön. Keine Musik, nur das vertraute Gewummer der Schiffsmotoren. Es dauert lange, bis wir am Hafen von Bastia festmachen. Die ersten Meter korsischen Bodens legen wir zwischen den Autokarawanen zurück. Die Lastwagen verlassen zum Glück nach uns das Schiff.

Bastia in SichtBastia wirkt auf mich wie eine Stadt, die nur halb der Insel zuzurechnen ist: mit den gigantischen Schiffsbäuchen, die die Hafenkulisse ausmachen, drängt sich unwillkürlich das Gefühl auf, dass nur ein Teil ihres Herzens auf den palmengesäumten Plätzen und den viel zu engen Straßen schlägt. Ein anderer Teil jedoch pulsiert im Takt der Schiffsmotoren im Hafen und in den Fernen des Mittelmeeres, auf den Routen nach Südeuropa und Nordafrika. Diese allzeit präsente Weite nimmt Druck aus einer Stadt, die zwischen Meer und Bergen eingepresst ist. So wenig wie die Stadt greifbar ist, ist es der junge, schwarzhaarige Kellner, der uns auf dem zentralen Platz Kaffee und Tee bringt. Croissants? Ja, gleich, in ein paar Minuten, er müsse nur eben zur Bäckerei nebenan. Nach einer gefühlten Viertelstunde liefert er, zur zweiten Tasse Kaffee, das versprochene Gebäck - mit soviel Charme jedoch, dass wir an Trinkgeld nicht sparen. 

korsischen BergweltBastia ist am Vormittag verstopft mit Autos. Es geht nichts. Ich schreibe dies dem Umstand zu, dass die meisten zuhause keine Klimaanlage haben und aus diesem Grund in ihren klimatisierten Fahrzeugen überhaupt kein Interesse haben, voranzukommen - zu Lasten derer, die tatsächlich mit einem Vorhaben ins Auto gestiegen sind, und sei es nur, dass sie zur Arbeit wollen. Dies werden diejenigen sein, die unablässig die Hupe bedienen. Wir sind froh, Bastia hinter uns lassen zu können, was sich angesichts der abrupten Anstiege landeinwärts als schweißtreibendes Unterfangen erweist. Erst als wir an einem von seiner Größe her beeindruckenden Friedhofsneubau eine Verschnaufpause einlegen, liegt der größte Teil unter uns. Das neu entstehende Totenfeld ist in schönster Lage über mehreren Etagen in den Hang hineingebaut und hat die Außmaße einer mittleren Universität. Hier begraben zu werden, muss das reinste Vergnügen sein. Die ruppige Fahrweise der Einheimischen könnte uns gut und gern dazu verhelfen, allerdings steht dem unser Plan entgegen, die Insel zu durchqueren und von der Südspitze aus nach Sardinien überzusetzen. Wir wählen entsprechend kleine Straßen fernab der Küste. Landschaftsgenuss pur

Hat man die erste Passhöhe erreicht, wird man mit einem prächtigen Blick auf den Golf von St. Florent belohnt und man vergisst etwas den Ärger, der einem die Fahrt hierhin bereitet hat. Ab hier herrscht Ruhe. Die Straße wird enger und der Belag holprig. Selbst Motorräder sind nur noch selten anzutreffen. Für die Mittagsrast finden wir ein Schattenplätzchen, das eine Quelle mit frischem Trinkwasser versorgt. Auch auf Korsika gibt es Luxus. Wir hätten uns vorher gerne noch mit frischem Schafskäse aus der Region eingedeckt, aber die Verkäuferin im Spezialitätenladen in Oletta rückt unter einem Kilo nichts heraus. So müssen wir uns mit dem regionalen Käse aus dem Supermarkt abspeisen lassen. Aber auch dieser schmeckt vorzüglich. 

...und gleich nochmal: Landschaftsgenuss purPonte Leccia bietet sich als Etappenort an. Wir haben eine Abfahrt hinter uns, die ich zu dem Dutzend der schönsten von mir befahrenen Straßen hinzurechnen möchte: eine unendlich scheinende sanft geschwungene Straße mit zauberhaften Blick übers Land und ein Flusstal, entlang dessen sich, in weiter Ferne, die Nationalstraße hinzieht. Wir verdanken diese Streckenwahl einem älteren Mann in Lento, der uns zweifelnd an der Kreuzung stehen sieht, und sich unser mit derselben Fürsorge annimmt, wie er sie seinem Hund angedeihen lässt, den er in diesem Bergdorf spazieren führt. Er hat sich einen Platz in meinem Herzen erobert.

Der Campingplatz etwas außerhalb von Ponte Leccia kann mit dem Zauber der Abfahrt nicht mithalten. Das ganze Anwesen gleicht eher einer halbfertigen Baustelle. Mein Gefühl sagt mir, dass sich daran in den letzten Jahren kaum etwas geändert hat. Das Büro der jungen Geschäftsführerin wirkt wie die Bude einer Studentin, die seit vielen Semestern über ihrer ersten Seminararbeit verzweifelt: Papiere, Bücher, Ordner - ein wildes Durcheinander. Erwartungsgemäß ist der Platz nicht überbelegt und wir finden ein halbwegs intaktes Rasenstück abseits. Immerhin bleibt es trotz der nahen Nationalstraße ruhig, abgesehen von einem spätabendlichen Arbeitsanfall eines mit Rasenmähen beauftragten Angestellen. Aber auch das gibt sich, bevor sich Dunkelheit über die Insel legt. 

 

Strecke:

75,5 km

Zeit:

5:27 h

Schnitt:

13,8 km/h

Höhendifferenz:

1460 m

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