Dienstag, 18. März 2008
Die Sonne hat heute Sinn und Zweck ihres Daseins zügig erfasst und bemüht sich vom ersten Moment weg um eine gewissenhafte Erfüllung ihrer Pflichten, während wir, bar jeden Auftrags - als Urlauber, man kann es nicht anders sagen - unnötig lange auf der Terrasse unseres Stammcafés herumlungern und den Tag auf uns zukommen lassen. Das einzige, was ansteht, ist, morgen abend rechtzeitig in Marseille einzutreffen.
Rennradfahrer aller Couleur ziehen an uns vorbei, mal Richtung Ventoux, mal in der Gegenrichtung, und alle haben es sehr wichtig und die Versuchung ist groß, es ebenfalls sehr wichtig zu haben und zum Giganten der Provence hochzujagen. Aber die Wärme im Tal ist ein Segen, zumal sich die Klamotte vom gestrigen Waschen noch klamm anfühlt, uns so verwerfen wir ein letztes Mal diese Option. Wir werden uns wieder Richtung Lubéron halten, das Massiv am östlichen Ende überqueren und am Fuß des Ste.-Baume-Massivs die Nacht verbringen.
Würde ich einen Rennradführer für die Provence schreiben, ich erwähnte nicht nur das vorzügliche Olivengebäck unserer müden Bäckersfrau in St. Saturnin, und den etwas merkwürdigen Rosé der Bar "Le Platane" gegenüber, der aufgrund seiner stimulierenden Eigenschaften sicherlich hart an einem Eintrag auf der internationalen Dopingliste vorbeischrammt; nein, die Sprache käme auch auf jenes winzige Sträßlein zwischen Méthamis und Murs. Unerwähnt bliebe natürlich der Aspekt, dass wir uns verfahren haben, denn eigentlich war ja geplant, über Cantarel nach St. Saturnin abzufahren, aber irgendeine Nachlässigkeit hat uns eben nach Murs geschickt und wir sind's zufrieden. Nebenbei gesagt behalte ich mir die Option offen, statt dessen die Straße über Cantarel in meinem Führer zu erwähnen. Das Wichtigste wäre allein, dass dieser Führer nicht in die Hände unserer motorisierten Zeitgenossen gelänge, denn dann wäre es schnell vorbei mit einem Teil der Herrlichkeit; der andere, der stets neue Blick auf den Mont Ventoux, bliebe uns selbst dann - hoffentlich - erhalten.
Die meisten Menschen sind von der Idee besessen, Radfahren müsse eine anstrengende Sache sein, die einen, weil ihnen fast schon der Gedanke ans Radfahren Schweißperlen auf die Stirn treibt und die erste Atemnot bereits beim Aufsteigen einsetzt, die anderen, weil man ihrer Meinung nach von Radfahren erst ab einem Puls von 170 Schlägen pro Minute reden kann. Beide Lager, besonders aber das erste, genießen einen starken Rückhalt im extremistisch geprägten Großteil unserer Bevölkerung und bestätigen sich immer wieder durch sich selbst und die Verunglimpfung der gegnerischen Vertreter ("Raser" oder "Endophin-Junkie" versus "faules Schwein" oder wahlweise auch "Umweltsau"). Dass es auch anders geht, beweist der gemeinsame vierte Tag unserer Reise. Nicht einen Moment drohen wir vor Verlangsamung vom Rad zu fallen, und kaum dass unsere Herzfrequenz je die Marke von 170 touchiert. Bei alledem haben wir viel Freude auf unserem Weg in Richtung Mittelmeer.
Ums Haar hätten wir in Rustrel angehalten, um eine Mittagspause einzulegen, uns dann doch wieder anders entschieden, da ich mitten im Ort nur ungern Rast mache. Danach ist die Freude etwas getrübt, weil entlang der Strecke einfach kein Platz mehr kommt, der sich für eine Rast anbieten würde. Und schon geht diese leidige Sache mit dem Hunger wieder los, bis wir am Ende doch noch irgendwo in den kahlen Reben ein passendes Plätzchen mit Aussicht finden, wo wir unseren nordisch weißen Beine und dem nassen Zelt ungeniert etwas Sonne angedeihen lassen können.
Noch eine ganze Menge Straßen ziehen unter unseren schmalen Reifen durch, für die ich in meinen Ratgeber Platz einräumen würde: die D 33 hoch nach Viens, die D 31 ab Céreste und wieder die D 33 bis Mirabeau. Bedauerlich ist, dass in Mirabeau die alte Hängebrücke einer neuen, in ihrem schmucken Betongrau ungewöhnlich hübsch anzusehenden Brücke weichen musste, und die beiden alten Brückentore nun etwas mitleiderregend links und rechts der Durance herumstehen. Aus lauter Gefühlsduselei könnte es mir passieren, dass auch die beiden am Ende noch Eingang fänden in meinen Führer.
Wir begleiten die Durance ein paar Kilometer stromaufwärts, biegen dann ab in ein sehr grünes Tal, das uns in das Städtchen Rians führt, früh genug, um uns im Lebensmittelgeschäft darüber zu informieren, dass der hiesige Campingplatz eigentlich geschlossen sein müsste, was sich aber im Folgenden als nachgeordnetes Problem erweist, da die Absperrungen zum Zeltgelände symbolischer Natur sind und mit genügend krimineller Energie umgangen werden können.
Strecke: |
137 km |
Zeit: |
6:27 h |
Schnitt: |
21,2 km/h |
Höhendifferenz: |
2030 m |