Freiburg - Sarre-Union

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Das Beeindruckendste an diesem Julimorgen ist die Kühle, als hätte jemand die arktische Tür sperrangelweit offenstehen lassen. Immerhin - die Straßen sind eisfrei und das ist gut so, denn für den Nachmittag ist Regen angekündigt, und diese Schweinerei hätte ich mir nun wirklich nicht antun wollen, zumal mir der Aufbruch so schon schwer genug gefallen ist. Aber einmal unterwegs, brökelt der anfängliche Widerstand zunehmend. Die gutbürgerlichen Alternativen sind womöglich auch nicht besser. Jedenfalls jetzt, solange es nicht regnet. der Kaiserstuhl

Die weiteren Aussichten: Kühlschranktemperatur, zunehmende Bewölkung, Gegenwind und rauer französischer Asphalt jenseits des Rheins. Noch vor der Grenze lege ich die erste Pause ein - der Zweifel hat mich wieder gepackt. Wie wäre es, einfach zu wenden? Muss man sich alles bieten lassen? Doch danach passiert das, was an solchen Tagen passieren muss: mich erfasst zunehmend der Zauber der Landstraße und ich sage mir, dass noch genügend Tage kommen werden, an denen ich mumiengleich zuhause rumsitzen kann. Also vorwärts.

Mangels Gesprächspartner gebe ich mich meinen Gedanken hin, zumindest will es mir so scheinen. Vielleicht denke ich zwischenzeitlich, angesichts der Monotonie der Strecke entlang des Rheins, auch gar nichts, aber wie soll man das feststellen? Es wäre höchst interessant, in unbeobachteten Momenten sein Denkverhalten zu überprüfen... Vermutlich sind die allermeisten von uns ja überzeugt davon, unablässig etwas zu denken. Dabei denken wir womöglich nur in diesen Momenten etwas, wo wir denken, dass wir etwas denken, und in den anderen Momenten denken wir eben doch nichts. Das wäre dann so etwas wie ein Zustand der Erleuchtung. Eigentlich jammerschade, ausgerechnet davon nichts mitzubekommen. Gelegenheit gäbe es auf der Strecke nach Straßburg jedenfalls genügend, nichts zu denken. 

Dann kann es allerdings auch passieren, dass man irgendwann bei Straßburg auf den Rhein-Rhône-Kanal stößt und sich ärgert, dass man nicht schon früher daran gedacht hat, sich entlang dieses Schifffahrtsweges zu bewegen, um so dem gelegentlich unangenehmen Verkehr rund um Straßburg aus dem Weg zu gehen. Später, nach einer kurzen Rast an einem Kanalseitenarm kreuze ich den Rhein-Marne-Kanal und habe die nächste Gelegenheit, mich darüber zu ärgern, dass unter all den Gedanken, die im Laufe der Reise in meinem Kopf für Unterhaltung gesorgt haben, nicht einer dabei war, der mich auf die Idee gebracht hätte, es mal mit den Kanälen zu versuchen, die zum Rhein führen. Dies unterstreicht meine These, dass wir gar nicht so viel denken, wie man für gemeinhin annimmt, und nur deswegen nicht erleuchtet sind, weil wir es nicht merken. Aber womöglich bin ich auch ein Einzelfall. Parc national des Voges du Nord

Je weiter Straßburg zurückliegt, umso einsamer werden die Landschaften. Mein Tagesziel ist der Parc Naturel des Vosges du Nord, den Naturpark Nordvogesen. Die landwirtschaftlichen Nutzflächen enden abrupt, wo der Park beginnt. Die Straße windet sich entlang eines kleinen Flüsschens – ein hübsches, beschauliches Fleckchen Erde... Rund um Bärental scheint der Tourismus eine gewisse Rolle zu spielen. Ich fahre an Hotels und Gaststätten vorüber, ohne jedoch mehr zu verzehren als einen der Riegel, die ich noch bei mir habe. Essen kommt später. auf dem Weg nach Sarre-Union

Hatte ich ursprünglich geplant, bis Sarreguemines zu fahren, um dort zu übernachten, entscheide ich mich, als der Tacho langsam auf die 180-Kilometer-Marke zugeht, vorzeitig die Biege zu machen und mich ein kleines Stück weiter südlich zu halten, Richtung Sarre-Union. Der Abend legt sich über die Nordvogesen. Schwarze Wolken hängen im Westen, aber der angekündigte Regen bleibt bislang aus.

Es scheint, als habe Sarre-Union manchen Reisenden hervorgebracht. Reisende, die eines grauen Morgens ihr Hab und Gut ins verbeulte Auto laden und der Stadt den Rücken kehren, weil es hier nur wenig Zukunft gibt. Sarre-UnionDiese Vorstellung drängt sich auf, wenn man durch die Straßen rollt, wo viele Häuser zu verkaufen sind und viele Geschäfte auf einen neuen Besitzer hoffen. Kaum junge Leute in den Straßen. Auf Anhieb finde ich keine Gaststätte, die mir zusagt, dafür aber ein Schild, das auf einen Campingplatz hinweist. 

Fünf Kilometer sind es bis nach Harskirchen am Saar-Kanal, dort klingle ich die Verwalterin des Zeltplatzes aus ihrem Appartement. Mein Zelt stelle ich am Ufer des angrenzenden Sees auf. Die Freiflächen sind nur spärlich besetzt, Dauercamper machen den Großteil der Gäste aus. Man spricht Deutsch.

Mein Magen knurrt. Es ist ein trister Abend. Ich muss den ganzen Weg zurück nach Sarre-Union, das Restaurant in Harskirchen hat – mitten in der Hochsaison – geschlossen. In einer Pizzeria bin ich fast der einzige Gast. Ob ich wirklich auf die Terrasse sitzen wolle, fragt mich der unterbeschäftigte Pizzabäcker. Er zählt mich zu den ganz Harten.

Später, als ich mich ins Zelt lege, klingt von einem entfernten Zelt eine handgezupfte Version von einem der großen deutschen Schlager zu mir rüber: Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein...  Der Wind wird heftiger und rüttelt kräftig an meinem Zelt. Es wird eine unruhige Nacht.

 

Strecke:

222 km

Zeit:

9:56 h

Schnitt:

22,3 km/h

Höhendifferenz:

1500 m

 

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