Alpentour 2019


Bad Bellingen – Pontarlier

Von Freiburg nach Bad Bellingen nehme ich der Einfachheit halber den Zug – Sonntag früh um acht Uhr herrscht hier alles andere als Gedränge und während die Weinberge des Markgräflerlandes draußen vorüberziehen, kann ich in Ruhe nochmals meine Pläne durchdenken: Übers Jura – Maîche und Pontarlier – geht es am folgenden Tag über die Schweiz bis Genf und weiter zu den ersten Pässen hinter dem Genfer See – Col des Aravis und Col des Saisies – und anschließend irgendwie weiter Richtung Süden. Ich phantasiere vom Col du Galibier, vom Col de la Cayolle, vom Lac Serre-Ponçon, aber wer hätte es nicht schon erlebt, dass die hochfliegenden Pläne zu Beginn einer Radtour im Verlauf zurechtgestutzt werden mussten, weil das Rad eben ein Rad ist und sein Besitzer ein Mensch ist und in seinen Eingeweiden kein Automotor vor sich hin heult. Zum Glück.

Pontarlier – St. Jean-de-Sixt

Während des Zeltabbaus erzählt mir mein Nachbar von einem Radlerkollegen, den er im vergangenen Jahr hier getroffen habe. Dieser sei – lediglich mit Schlafsack und Biwaksack ausgerüstet – für 40 Tage unterwegs gewesen – eine Art spirituelle Übung, die er jedes Jahr zu machen pflege, um nach den vielen Nächten auf blankem Boden den Wohlstand des Alltags wieder neu wertschätzen zu können. Gleich komme ich mir vor wie ein Weichei und mit meinen sechs Kilo Reisegepäck als das reinste Luxusgeschöpf.

St.-Jean-de-Sixt - Le Mollard

Mein Schlafsack ist für den Sommer ausgelegt und so zwingen mich die überraschenden Nachttemperaturen von etwa 5° irgendwann nach Mitternacht dazu, fröstelnd einen Großteil meiner Kleidung überzustreifen, so dass kaum mehr als Armlinge, Beinlinge und Regenjacke als Kopfunterlage übrigbleiben – Hose, Trikot und Unterhemd hängen im Bad zum Trocknen aus.

Umso größer ist die Vorfreude auf ein morgendliches Frühstück mit heißem Kaffee und einer Packung feiner Kekse, die ich mir gestern Abend besorgt habe. Die Freude wird allerdings dadurch getrübt, dass mich nach kurzer Abwesenheit ein altdeutscher Schäferhundmischling dummdreist anglotzt, als erwarte er von mir Almosen.

Le Mollard – Taillard

Neben mir am Frühstückstisch sitzen zwei junge Frauen, auch sie mit dem Rennrad unterwegs. Von Grenoble her sind sie gestern mit dem Rad hier oben angekommen und heute wollen sie wieder zurück. Später stehen wir zu dritt draußen in der Morgenkälte, um das Gepäck an den Rädern zu befestigen und ich wundere mich über ihre blanken Knie. Entweder sind die Frauen von heute robuster oder aber die beiden sind noch nicht mit allen Kniffen des Radsports vertraut. Wie sich auf Nachfrage zeigt, ist hier letzteres der Fall, und neugierig inspizieren sie meine Knielinge. Danach stürzen wir uns gemeinsam in die Abfahrt, aber nach dem einen oder anderen Fotostopp verlieren wir uns aus den Augen.

Taillard – Moustiers-Sainte-Marie

Schneller als gedacht liegen die Alpen hinter mir und nur noch gut einhundert Kilometer vor mir: Grund genug, den heutigen Tag etwas gemächlicher anzugehen. Meine holländischen Nachbarn brechen mit herzlichem Abschiedsgruß bereits zu ihrer heutigen Tagestour auf, als mein Kaffeewasser die ersten Bläschen wirft. Irgendwann nach neun Uhr sind Zelt, Schlafsack und der ganze Rest wieder am Rad vertäut und das nächste Kapitel wird geschlossen.