Freiburg - Bolandoz
Samstag, 15. März 2008
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Muss man die Dinge immer auf die Spitze treiben? Hatte ich mir nicht bei unserer letzten Frühjahrstour zum Mont Ventoux vor zwei Jahren geschworen, nie wieder so früh im Jahr auf Tour zu gehen? Aber was interessiert mich mein Geschwätz von gestern... Kurzum - noch ehe der Schnee in den Höhen des Schwarzwaldes geschmolzen ist, ist ein neuer Versuch angesagt, dem Mont Ventoux ab Freiburg zu Leibe zu rücken. Per Rad, versteht sich. Und wieder mit Urban Hilpert, den auch die schlechtesten Wetterprognosen nicht schrecken können. Start: 10.15 Uhr. Freiburg - Bad Krozingen - Neuenburg - Mulhouse. Nichts Neues. Hundertmal gefahren, jedesmal anders und immer wieder gleich. Wir haben einen der schönsten Tage seit etlichen Wochen erwischt. Warm, sonnig, mit Schleierwolken am Himmel, Wind aus wechselnden Richtungen. Im Nu wird um uns herum französisch gesprochen. Was neu ist: der Radweg ist nun ab dem Bahnhof in Mulhouse in südwestlicher Richtung bis Montbéliard befahrbar, natürlich mit Unterbrechungen. Dem Franzosen als solchem liegt jeder Perfektionismus fern, "il aime bricoler", so hatte ich es schon in der Schule gelernt: er ist ein Meister in der Flickschusterei. So tragen wir noch mitten in Mulhouse unsere Räder über Gras und Schotter, auf der Suche nach einem Anschluss dort, wo der Weg plötzlich im Nichts endet. C'est la vie, denkt sich der Franzose als solcher in einem Fall wie dem vorliegenden, regt sich kurz und heftig auf und freut sich ansonsten seines Daseins. Die zwei Deutschen mit ihren geschulterten Rädern versuchen es dem Franzosen als solchem gleich zu tun. Dann liegt die Stadt hinter uns und der Nachmittag und rund 70 km Kanalstrecke vor uns, allenfalls unterbrochen von überflüssigen mannshohen Absperrgittern, die wegzuräumen die Bauarbeiter versäumt hatten. Aber die Sonne lacht glücklich vom Himmel, und auch wir sind glücklich und zufrieden, trotz aller Hindernisse. Es geht voran. In Montbéliard sind wir noch am frühen Nachmittag, winden uns durch die verkehrsreiche Stadt - nicht ganz ohne fremde Hilfe - und finden uns beizeiten am Doubs wieder. Wir machen gemeinsame Sache: der Doubs, Urban und ich, alle drei bewegen wir uns in Richtung Südwest, der Doubs in seinem Bett, wir uns auf unseren Rädern. Für diese Tour hatte ich mein Rad noch einmal um ein gutes Pfund abgespeckt und selbst am Gewicht der Gepäcktaschen gespart: Zwei Ortlieb-Packsäcke à 12 Liter, mit Riemen am Gepäckträger festgezurrt: noch ein Kilo gespart. Wir reisen ohne Kocher, nur mit einem Überzelt und Boden, ohne Innenzelt. Mein Leichtschlafsack ist groß wie eine Honigmelone. Man ahnt, dass er den Sommer liebt und der Kälte nur wenig entgegenzusetzen hat. In diesem Punkt sind wir uns sehr ähnlich. L'Isle-sur-le-Doubs: nach dem Linksknick der N 83 geht es über den Doubs, durch das Zentrum, dann rechts. Hier empfängt uns ein Supermarkt mit offenen Türen; der Radwanderer wird ungeachtet seines Geschlechts und seines Trachtens in eine der Schlangen vor den Kassen wortlos integriert. Wie immer in die falsche. Eine eingeschweißte Hasenleiche im eigenen Blut der Dame vor uns stellt die Kassiererin aufgrund eines fehlerhaften Etiketts vor eine große Herausforderung. Ebenso unsere Geduld. Wir wechseln die Kasse. Mit dem guten Gefühl, essenstechnisch für die Nacht gewappnet zu sein, setzten wir unseren Weg entlang des Flusses alsbald wieder fort. In Clerval verlassen wir die Nationalstraße und wählen die kleinen Wege durchs hügelige Hinterland. Der Abend bricht an. Vereinzelt treffen wir auf Bauersleute, die manchmal freundlich grüßen, mitunter aber auch kaum von ihrer Arbeit aufsehen. Noch sind die Tage kurz und wer weiß, vielleicht haben die Menschen auch hier keine Zeit mehr zu verschenken. Ein kurzer Blick auf die weißen Kalkfelsen, die das Tal des Doubs einfassen, dann geht es in die Abfahrt nach Pont-les-Moulins. Die Landschaften fliegen uns zu. Links ab auf die D 492, die uns in Wellen bis hinunter nach Ornans führt.
Es geht auf halb acht zu und wir wollen uns hier eine letzte Pause vor der Nacht gönnen. Wir entscheiden uns für eine Pizzeria direkt am Fluss. Als wir unser Essen bestellen, sind wir fast die Einzigen im Lokal, dann geht es Schlag auf Schlag, mit jedem Happen, den ich zu mir nehme, strömt eine neue Gruppe hungriger Mäuler durch die Eingangstür. Wir bestellen noch eine Runde Schwarztee, bezahlen und gehen in die warme Nacht hinaus. Überschuhe und Jacken werden uns trotzdem gute Dienste leisten. Direkt hinter Ornans beginnt der Anstieg nach Chantrans. Es ist ungewöhnlich windstill. Kein Lüftchen regt sich. Dann, als wir den Anstieg fast hinter uns haben, setzen Böen ein und ein leichtes Tröpfeln. Wenige Kilometer später ist aus den Böen ein ausgewachsener Sturm geworden. Unsere Hoffnung, heute abend noch 50 oder 100 Kilometer abzuspulen, werden vom Wind weggeblasen, und die einzige Sorge gilt nur noch, den Sturmböen gegenzulenken. Am Ende setzt Regen ein. Wahrhaftiger, unbarmherziger, dichter Regen, aufgepeitscht vom Sturm. Wir haben Bolandoz erreicht, zu unserer Linken eines jener dörflichen Waschhäuser, wo sich einst die Frauen des Ortes an den Waschtagen getroffen haben. Heute gibt es zu diesem Zweck Waschmaschinen und Seifenopern. Gut erhaltene Waschhäuser aus jener Zeit sind herrlich gemütlich. Man kann darunter Räder abstellen, seinen Schlafsack auspacken, auf dem Steinboden seine Isomatte ausrollen und hinaus auf den Regen blicken und sich wie im Urlaub fühlen. In dieser Nacht träume ich von endlosen Kassenbändern mit eingeschweißten Hasenleichen, die mich vorwurfsvoll anschauen. Was mich beruhigt, ist, dass in einer Woche Ostern ist: Fest der Auferstehung.
Strecke: |
227 km |
Zeit: |
8:52 h |
Schnitt: |
25,5 km/h |
Höhendifferenz: |
1424 m |