Pyrenäen 2016


Narbonne - Tuchan

Im Bahnhof von Narbonne ist es unter dem Glasdach dampfig wie im Gewächshaus, aber wir sind endlich da, beschwingt von der Idee, dass wir das Schlimmste nun eigentlich hinter uns haben müssten. Gestern Abend, als wir in Avignon aus dem Zug ausgestiegen waren und die Räder zusammengebaut hatten, kam der erste Schock: das Schaltauge am neuen Rad meiner Frau war ordentlich nach innen gebogen. Da musste ein Ignorant seinen Schrankkoffer draufgestellt haben.

Tuchan - Axat

Unsere Nachbarn, die ein paar Plätze weiter ein Chalet gemietet haben, zeigen sich recht interessiert an unserem Equipment. Er ist eine Art Power-Wanderer, der etliche Landstriche dieser Erde bereits zu Fuß durchquert hat, und sie Personal-Trainerin, die unsere Ausrüstung genau in Augenschein nimmt – ganz offensichtlich ist sie vom Fach. Viel haben wir tatsächlich nicht dabei – zwei Taschen für den Gepäckträger, der an meinem Rad angeschraubt ist, und eine 14-Liter-Hecktasche, die unter dem Sattel meiner Weggefährtin festgezurrt wird.

Axat – Les Cabannes

Nachdem wir gestern kaum einen nennenswerten Pass hinter uns gebracht haben – zu erwähnen wäre allenfalls der Col de Saint Louis an der Grenze zum Département der Pyrenées orientales, der allerdings weniger wegen seiner Höhe von 706 Metern als seiner bewaldeten Abgeschiedenheit Beachtung verdient hat, geht es heute los mit den Bergen. Gleich der erste ist einer der schwersten: der Col de Port de Pailhères mit einer Höhendifferenz von etwa 1600 Metern ab Axat.

Les Cabannes - Massat

Das Zelt stopfen wir nass in die Tasche, die Schlafsäcke immerhin sind trocken geblieben. Die gestern ausgewaschenen Klamotten hängen feucht in den sanitären Anlagen und insgesamt wünscht man sich diesen grauen Morgen etwas freundlicher. Im Ort Albiès, wo wir abgestiegen sind, ist das einzige Café noch geschlossen, also fahren wir mit Sack und Pack wieder nach Les Cabannes, um dort zu frühstücken.

Massat - Castillon-en-Cousans

Der Regen lässt erst zum frühen Morgen nach und lange noch tropft es von den Dächern und den Bäumen und mit klammen Händen halten wir die Becher mit den Heißgetränken. Erneut müssen wir das Zelt in nassem Zustand einrollen, aber weit wichtiger ist, dass wir selbst trocken geblieben sind und dass der Regen, zumindest für den Augenblick, aufgehört hat. Mal sehen, wohin es uns heute verschlägt – das Pläneschmieden beim Frühstück geht erfahrungsgemäß leichter von der Hand als deren Umsetzung. Unumstritten ist, dass es weiter in Richtung Westen gehen soll, hinein in die Hochpyrenäen.

Castillon-en-Cousans - Bagnères-de-Luchon

Montag, 20. Juni 2016     


Von der Hauptstraße Castillons aus sehen wir heute zum ersten Mal das schneebedeckte Hochgebirge, und aller Gram ist zusammen mit dem Grauschleier des gestrigen Tages verschwunden. Vielleicht haben die jungen Männer in ihren schneeweißen Kutten ja doch für den meteorologischen Durchbruch gesorgt. Im Glanz des neuen Tages scheint alles frisch und jungfräulich, abgesehen von meiner Sonnenbrille, deren Bügel abgebrochen ist, was sich jedoch mit einem Tropfen Sekundenkleber aus dem Supermarkt beheben lässt.

Argeles-Gazost - Laruns

Im Zentrum von Argeles-Gazost sehen wir nochmals das bepackte Rad des Texaners, ohne ihn selbst jedoch anzutreffen. Wir besorgen die wichtigsten Dinge für die heutige Etappe, dann ziehen wir erneut ins Feld: von Beginn an geht es stetig bergan. Unsere Route führt nicht auf dem klassischen, direkten Weg zum Col de Soulor, sondern durchs nördlich gelegene Tal. Die Straße ist klein und zauberhaft, es gibt nur wenige Anlieger, die uns an den Wegesrand zwingen; fast den ganzen Morgen sind wir unter uns, bis hoch zum Col de Spandelles auf 1378 Metern. Spätestens hier könnte man sich unsterblich in die Pyrenäen verlieben.

Larrau - Saint-Jean-de-Luz

Samstag, 25. Juni 2016    


Wir verlassen einen der sympathischsten Campingplätze Europas bei strömendem Regen. Da hilft auch nicht, das Frühstück hinauszuzögern. Trotz ihres Zeltabbaus sind uns die Engländer voraus und vor uns auf dem Weg. Der Morgen ist nicht die Zeit, in der wir beide bereits zur Hochform aufzulaufen pflegen.