Donnerstag, 24. Mai 2007
Die Menschheit, soweit vertreten, schläft noch, als ich früh um sechs am See sitze und zusehe, wie das Kaffeewasser zu brodeln beginnt; allein mit den Elementen: Sonne, Wasser, Erde. Und dem Feuer des Gaskochers. Den Topf spüle ich mit dem Wasser des Neuenburger Sees, ich habe keine Lust, vor meiner Abfahrt den allgegenwärtigen Dauercampern über den Weg zu laufen. Schlag acht Uhr nehme ich mein einsames Geschäft wieder auf, froh darüber, dass ich noch gestern abend die Übernachtungsgebühr bezahlt habe.
Das Geschäft des Langstreckenfahrers ist ein einsames. Kein Gruß zum Abschied, mein Platz liegt genauso verlassen da, wie ich ihn gestern abend vorgefunden habe. Ich bin nicht mehr als ein Geist, der sich weitertreiben lässt. Nicht ein Gesicht, dass sich mir auf dieser Tour eingeprägt hätte; Landschaften sind es, die meine Erinnerungen formen, Landschaften, wo die Zivilisation unerheblich, wenn nicht störend wirkt. Die Straßen sind das Band zwischen diesem Rohzustand der Erde und den zivilisierten Zentren, denen ich zu entfliehen suche, mit der Kraft meiner Beine, mit der Kraft meines Willens.
So lasse ich mich treiben: nordwärts. Ich wähle den Radweg entlang des Sees, obwohl die N 5 kaum befahren ist. Zwischen dem Wasser und rebenbepflanzten Hängen schwebe ich entlang. Für heute habe ich mir nichts vorgenommen, außer auf ruhigen Straßen heimwärts zu rollen - wie weit, ist zweitrangig. Für heute ist Genussradeln angesagt.
Ab Neuchâtel steigt meine Route steil bergan - die Direttissima ins Jura. Ich halte auf Dombresson zu, auf einer welligen Route, die dem Gebirgszug in Längsrichtung folgt. Dass der Tag wieder höhenmeterträchtig würde, war absehbar, und so nehme ich die Anstiege mit einer gewissen Gelassenheit und erfreue mich an der perfekten Kulisse der kleinen, zwischen die Hügel eingebetteten Dörfer in der Morgensonne. Brunnen mit kühlem, klarem Wasser locken zum kurzen Verweilen. Ich habe keine Eile.
Am Col des Pontins (1110 m) lasse ich einem Kollegen den Vortritt. Eine schnelle Abfahrt in engen Serpentinen, kühle Waldluft trocknet den Schweiß auf meiner Haut. Saint-Imier: schon geht es wieder hoch. In einer Bäckerei besorge ich mir zwei Croissants zum Sofortverzehr und folge weiter dem gleichmäßen Anstieg zum Col du Mont Crozin. 1227 Meter über NN, der höchste Punkt für heute. Es ist kurz vor zwölf. Ich habe ein zauberhaftes Hochtal erreicht und bin sehr zufrieden mit der gewählten Strecke. Ein Idyll, das zum ausgiebigen Pausieren einlädt, und für alle Fälle besorge ich mir in einer Bäckerei am Wege Brot und eine kleine Flasche Wein. Diesen letzten Tag möchte ich gerne feiern.
Von Bellelay aus geht es abwärts und - überraschend für mich - danach weiter abwärts durch die Gorges du Pichoux. Im Jura rechne ich stets damit, dass es hoch geht... Ein zauberhafter Landstrich, und doch - ich verweile nicht, viel zu schnell liegt die Schlucht hinter mir, als dass ich Zeit gehabt hätte, mir ein hübsches Plätzchen zu suchen. Und schon bin ich in Bassecourt und bald darauf in Delémont, 40 Kilometer vor Basel. Ein Platten neben der Nationalstraße hält mich auf und nun ärgere ich mich, daß ich nicht längst schon Pause gemacht habe. Zwischenzeitlich ist es 13.45 Uhr und außer den Croissants und zwei Riegeln habe ich seit dem Frühstück nichts gegessen. Bis Laufen will ich durchhalten, danach will ich links ab von der N 18, um Basel zu umfahren. Sicher finde ich dann eine geeignete Stelle, um diesen Tag in angemessener Form zu würdigen.
Eine weitere Stunde später hängt mein Magen in der Kniegegend, aber da bin ich hart: kein Picknick direkt an der Nationalstraße, wenn sich's vermeiden lässt. Dann schon lieber von Laufen aus nach Röschenz hochgequält, wo ich endlich eine schattige Wiese finde, die mir für meine Zwecke geeignet erscheint. Just im selben Moment kommt die dazugehörige Bauersfrau, um mit ihrer Gabel das trockene Gras zu wenden. Sie gewährt mir Asyl auf ihrem Flecken Erde. Wir plaudern etwas, dann widme ich mich ganz und gar dem Essen und garniere es mit ein paar Schluck Rotwein. Mit dieser Lebensqualität steigt meine Zufriedenheit wieder auf einen Höchststand. Ich strecke mich aus, schließe die Augen und mache ein Mittagschläfchen. Zeit spielt heute keine Rolle.
Der letzte Abschnitt auf meinem Weg nach Hause: ein Auf und Ab rings um Basel, durchaus schön zu fahren, wenn auch mitunter stark frequentiert. In Mariastein, ein Ort mit Klosterkirche und etlichen Reisebussen am Ortseingang, bemerke ich einen Busfahrer, der sich eine Liege in die Sonne gestellt hat und dreinschaut, als amüsiere er sich köstlich über seine Schäfchen, die folgsam durch die Klosteranlagen trotten und ihm so dieses stille Stündchen des Glücks gewähren....
Ich passiere den Flughafen Basel-Mulhouse. Zwei Maschinen setzen nacheinander zum Landen an. Eine andere Welt, andere Dimensionen, andere Wahrnehmungen, die, aus dem blauen Himmel heraus, hier auf der Landebahn plötzlich Realität werden. Fliehende, die - wie ich - zurückkehren. Meine Reisegeschwindigkeit gehöhrt einer anderen Epoche an. Meine Landebahn ist Dutzende von Kilometer lang. Ein angenehmes Gefühl, wieder vertrauten Boden zu erreichen. Und Freude kommt auf, Freude darüber, meine Schwarzwaldberge wiederzusehen.
Strecke: |
239 km |
Zeit: |
10:02 h |
Schnitt: |
23,8 km/h |
Höhendifferenz: |
2156 m |