Samstag, 18. August 2012
| Strecke |
Das verbleibende Tagespensum erfordert, dass ich einigermaßen früh in die angetrockneten Radklamotten steige. In Sichtweite wird ein Heißluftballon gefüllt - was für ein Monstrum! Eine Handvoll Passagiere wird in Kürze damit abheben. Sie könnten beobachten, wie die Loire in der Morgensonne badet und in ihrer Nachbarschaft, in Amboise, ein einzelner Radfahrer das erstbeste Café ansteuert und ungeduldig sein Frühstück verzehrt. Wie er sich bald danach auf sein Rad setzt, um wieder Fahrt in Richtung Westen aufzunehmen. Eine Höhe von zwei-, dreihundert Metern wäre wohl ausreichend, um ihn bis Nantes zu verfolgen. Ob sie von dort oben das Glitzern des Meeres sehen? Lange noch hätten sie diesen Radler im Blick - wie er die schnurgeraden Asphaltbänder entlangpedaliert, bis Tours zunächst an der Loire, dann nördlich davon, auf kleinen Straßen, vorbei an Herrenhäusern, Schlössern und zahllosen Bauernhöfen. Bis er aber ankommen wird, ist das Gas des Brenners längst verbrannt und die Passagiere wieder wohlbehalten auf festem Boden angekommen. Radfahren ist und bleibt ein langwieriges Geschäft.
Die Sommerhitze staut sich über dem Land, lastet auf den Weinbrgen der Touraine, auf den Dörfern und dem ausgeblichenen Straßenbelag, der sich von Hügel zu Hügel zieht. Angers umfahre ich südlich. Die Gegend hier ist erstaunlich wellig. So kurz vor dem Ende passt mir das nun gar nicht. Beim vorherrschenden Westwind wird mein Reisen allmählich zermürbend.
Es gibt das eine oder andere, auf das ich in meinem Leben verzichten könnte - Begebenheiten, die mich weder reicher noch attraktiver gemacht haben und womöglich verhindert haben, dass etwas Besseres aus mir geworden ist. Was ich aber keinesfalls missen möchte, sind jene Stunden auf dem Rad, wenn einem alles sagt, dass man die wesentlichen Hindernisse zum Ziel hinter sich gebracht hat: die schlimmsten Anstiege, die heftigsten Windböen, die längsten Durststrecken. Wenn man beginnt, das Meer zu riechen. Die Erschöpfung, die sich nach ein paar Tagen unvermeidbar einstellt, paart sich zum Ende hin mit einer Leichtigkeit, die einen vorantreibt. Das mitunter glanzlose Vor-Sich-Hinfahren verbindet sich wieder mit dem Ziel, das all die Tage über einem schwebte, auch wenn man in den Momenten des Überdrusses kaum mehr daran glauben wollte. Jede neue Straße, in die ich einbiege, jede Kurbelumdrehung erhält wieder Bedeutung. Man müsste diese großen Momente genießen, einen Gang rausnehmen, sich aufrichten und das nahende Ziel wie Nektar aufsaugen.
Acht Kilometer vor dem verabredeten Treffpunkt stellt die Glücksmaschine ihren Betrieb ein: ein jäh auftretendes Schlingern zwingt mich zu einem Stopp auf dem Seitenstreifen der Einfallstraße. Ich wechsle den Schlauch, aber statt dass die Glücksmaschine bei der Weiterfahrt wieder in Schwung käme, läuft sie rückwärts und produziert Ärger - der erste Ersatzschlauch hat ein Ventilproblem, mit dem zweiten komme ich keine hundert Meter weit, dann ist der Reifen wieder platt. Ist es die Hitze, die den Kleber des Flickens abgelöst hat? Mit dem nächsten Schlauch komme ich einen weiteren Kilometer, dann steht die nächste Reparatur an. Die Glücksmaschine produziert Galle. Ich zücke den letzten Schlauch aus meiner Tasche, den schäbigsten. Er hält die Luft, derweil ich wutschnaubend die letzten wenigen Kilometer durch die überhitzte Stadt an der Loire stampfe, bis der Bahnhof in Sichtweite kommt.
Linderung verschafft erst ein goldschimmerndes Bier in der Abendsonne. Mein alter Freund vertritt seit jeher den obsoleten Standpunkt, dass Radfahrer eine Macke haben. Sein Auto steht um die Ecke und wir laden mein braves Rad in den Kofferraum, um Nantes noch bei Tageslicht auf vierspurigen Highways in Richtung Atlantik zu verlassen. So bleibt mir von hier nicht mehr im Gedächntnis als Schläuche wechseln und ein kühles Bier auf dem Bahnhofsvorplatz. Ich fürchte, ich muss irgendwann noch einmal herkommen.
Der Illusion unserer Jugendlichkeit frönen wir 50 Kilometer weiter westlich, an den Stränden von Pornic und Préfailles. In einem Strandlokal essen wir Couscous und trinken Rosé. Mein Rad ist derweil eingesperrt im engen Kofferraum. Wir suchen uns eine ruhigen Abschnitt am Strand, wo wir im feinen Sand die Schlafsäcke ausrollen, nicht anders als zu jenen fernen Zeiten, als wir per Anhalter oder mit einer klapprigen Ente unterwegs waren. Am Horizont taucht von Zeit zu Zeit das Licht eines Ozeandampfers auf. Über uns wachen die Sternbilder der nördlichen Hemisphäre. Eine schöne Ecke. Auch hierher könnte man nochmals kommen. Beim nächsten Mal natürlich nicht mit dem Auto, sondern mit dem Rad. Versteht sich von selbst.
Strecke: |
231 km |
Zeit: |
9:21 h |
Schnitt: |
24,7 km/h |
Höhendifferenz: |
1000 m |
898 km |