Le Mollard – Taillard

Mittwoch, 4. September 2019


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Neben mir am Frühstückstisch sitzen zwei junge Frauen, auch sie mit dem Rennrad unterwegs. Von Grenoble her sind sie gestern mit dem Rad hier oben angekommen und heute wollen sie wieder zurück. Später stehen wir zu dritt draußen in der Morgenkälte, um das Gepäck an den Rädern zu befestigen und ich wundere mich über ihre blanken Knie. Entweder sind die Frauen von heute robuster oder aber die beiden sind noch nicht mit allen Kniffen des Radsports vertraut. Wie sich auf Nachfrage zeigt, ist hier letzteres der Fall, und neugierig inspizieren sie meine Knielinge. Danach stürzen wir uns gemeinsam in die Abfahrt, aber nach dem einen oder anderen Fotostopp verlieren wir uns aus den Augen.

am Col de Croix de FerEine halbe Stunde später ist es bereits wieder Zeit, sich der äußersten Wärmeschichten zu entledigen: ein warmer, sonniger Septembermorgen kündigt sich an, wie geschaffen für die Auffahrt zum Col de Croix de Fer auf 2067 Meter. Der Dreizack der Ecrins de l‘Arve hebt sich in der Ferne majestätisch vom stahlblauen Himmel ab – angesichts der Schönheit ringsum bewege ich mein Gefährt auf eine Art sehr ehrfurchtsvoll und ohne übertriebene Eile in Richtung Gipfel. Oben angekommen halte ich Einkehr – beim Kaffee auf der Terrasse tastet sich der Blick die kargen Felslandschaften entlang, nicht ohne Befriedigung, es bis hierhin aus eigener Kraft geschafft zu haben. In Momenten wie diesen erwartet man fast, dass die Zeit stillsteht: alle Last ist abgefallen und und nichts zieht einen fort von hier. Ein Irrtum. Der Kaffee ist schneller kalt, als einem lieb ist. Und es wird auch nicht lange dauern, bis dieser famose Tag zu Ende geht, diese Tour, dieser Sommer. In wenigen Monaten – vielleicht schon Wochen – werden hier die ersten Graupelschauer niedergehen und den Radfahrer zur unerwünschten Person erklären.

Bäckerei-Stopp in EntraigesViele Kilometer noch gibt es Anlass, sich an dieser alpinen Welt zu berauschen, an den schattigen Bergflanken zur Linken und den sonnenbeschienen Hängen zur Rechten, am Stausee Grand‘Maison, an der gewundenen Passstraße, die durch Senken führt und wieder ansteigt und in der Talfahrt immer wieder den Blick freigibt auf ferne Gipfel und endlich ins Tal der Romanche einmündet.

Vor mir biegt ein Schwarm holländischer Rennradfahrer auf einen Radweg entlang der Romanche ein und ich folge ihnen spontan. Sie sind sehr beschäftigt mit ihren Kameras und umkreisen sich selbst in einem fort und nehmen keine Notiz von mir. Dementsprechend schnell lasse ich sie zurück, dankbar für ihre Wegführung und entzückt vom glatten Asphalt. Ohnehin trennen sich offensichtlich unsere Wege vor dem nächsten Pass, der nicht lange auf sich warten lässt: der Col d‘Ornon, 1371 Meter hoch. Es ist eine schweißtreibende, unregelmäßige Auffahrt, die mich erwartet, aber an diesem Vormittag genieße ich jede Kehre.

Auf der Passhöhe drossle ich ich mein Tempo angesichts der Möglichkeit, fürs Mittagessen einzukehren. Vor Jahren fand ich bei strömendem Regen Schutz in der Gaststätte und eine warme Mahlzeit. Wir waren zu dritt und fast die einzigen Gäste an jenem Nachmittag. Heute sind etliche der Tische auf der Terrasse besetzt. Nach kurzem Zögern ziehe ich es vor, für mich zu bleiben und besorge mir Zutaten für ein Picknick in einer Bäckerei in Entraiges am Ende der Abfahrt.

Am Fuße des Col du Parquetout setze ich mich ins Gras: Pause. Sie wird nötig sein, denn der Parquetout ist einer jener Pässe, die sich mitleidslos mit durchschnittlich zehn Prozent bis auf 1400 Meter nach oben winden, vorwiegend jedoch im Schatten, so sagt mir meine Erinnerung, und diesmal trügt sie mich nicht.

Blick auf GapDer einzige Wermutstropfen des heutigen Tages ist die N85, der ich nun dreißig Kilometer folge, mehr als nötig, weil ich einmal mehr mein GPS-Gerät vernachlässigt und an geeigneter Stelle den Schwenk auf die Nebenstraße verpasst habe. Die Entschädigung erfolgt kurz vor Gap: über eine enge Höhenstraße mit grandiosen Ausblicken umfahre ich Gap und im Anschluss danach die Hauptstraße nach Süden, um mich auf einem sympathischen Campingplatz in Tallard wiederzufinden. Campingplatz in TaillardIch besorge mir Tisch und Stuhl, werfe meinen Kocher an und die N85 verblasst angesichts der Freuden, die eine Tüte Tortellini, ein ordentlicher Schluck Wein und ein Becher Joghurt am Ende eines solchen Tages bereiten können.

 

Strecke:

159 km

Höhendifferenz:

 3200 m

Schnitt:

19,2 km/h

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