Vaison-la-Romaine - Mont Ventoux

Freitag, 28. März 2014    


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Wieder einmal sind wir in einer Bushaltestelle gestrandet - die Versuchung war zu groß. In Vaison-la-Romaine wurde gestern beim späten Bier sogar das Wort Hotel ausgesprochen. Es muss an der ungewohnten Biersorte gelegen haben, dass alle Tabus gefallen sind. Aber wie so oft hat am Ende die Vernunft gesiegt und die Erkenntnis, dass wir ja noch ein paar Meter weiterfahren könnten. Der Wirt schloss hinter uns seinen Laden zu und wird wohl etwas verdutzt dreingeschaut haben, als wir nicht seiner Wegbeschreibung Richtung Hotel gefolgt sind, sondern in Gegenrichtung losgefahren sind, Richtung Ortsausgang. Hätte er uns bis dahin trotz unserer auffälligen Erscheinung noch für zurechnungsfähig erklärt, so könnten ihm an dieser Stelle ersthafte Zweifel gekommen sein. Bushaltestelle als Nachtlager

Lange hielt der neu gewonnene Schwung nicht an. Ein zauberhaft gelegenes Wartehäuschen an der Straße nach Malaucène hat uns in einer Weise in seinen Bann gezogen, dass die Bremsen plötzlich wichtiger waren als die Kurbeln. Malaucène? Bédoin? Wäre für den Randonneur heute Nacht ein Leichtes gewesen. Aber in bestimmten Momenten strahlen überdachte Haltestellen ein Gefühl von Geborgenheit aus, dem man wehrlos ausgeliefert ist. Besonders dann, wenn ihre Lage in unmittelbarer Nachbarschaft zu einer Bäckerei bereits eine wohlige Vorahnung eines gediegenen Frühstücks aufkommen lässt. So fügt man sich seinem Schicksal und rollt bereitwillig seinen Schlafsacke aus.

Obwohl unser Biwak ein erschreckender Anblick gewesen sein muss für das unbedarfte Schulmädchen, das in der grellen Morgensonne plötzlich in kurzem Röckchen vor uns steht, zeigt sie sich sowohl unbeeindruckt von uns wie auch von der Kälte, die wir nur dank unserer Daunenschlafsäcke überlebt haben. Der reifere Mann - während er neben ihr fröstelnd seinen Schlafsack wieder in den Beutel stopft - erfasst sofort das Potenzial, das in einem solchen jungen Ding steckt, und würde sie am liebsten noch in der anbrechenden Saison auf die Langstrecke schicken. Mit ihrer furchtlosen Art und ihrer Kälteresistenz wäre sie wie geschaffen für Brevets selbst in Sibirien. Als sich nun noch weitere Jugendliche in dünnen T-Shirts zu ihr gesellen, läuft es mir noch kälter über den Rücken. Ankunft in BédoinDie Jugend, so abgehärtet wie sie auch sein mag, steigt allerdings nicht aufs Rad, sondern in den Bus. Da fühlt man sich gleich wieder eine Spur wohler. Es gibt Bereiche im Leben, wo unsereiner seine halb gefrorene Nase doch noch vorn hat. So trübt nach der Abfahrt des Busses nichts diesen wunderschönen Morgen, den wir bei Milchkaffee und Gebäck in der sonnendurchfluteten Boulangerie auf der anderen Straßenseite zelebrieren.

Die Fahrt bis nach Bédoin scheint mir wie ein kleiner Triumphzug. Wir haben es nicht eilig und lassen uns Zeit. Der Mont Ventoux steht seit Millionen von Jahren an der selben Stelle und wartet geduldig auf unsere Ankunft. Wir richten uns auf dem Campingplatz ein, duschen, schlendern durchs Städtchen. die Auffahrt zum Mont VentouxNiemand hätte uns gezwungen, heute noch auf den Giganten der Provence zu fahren. Bédoin ist eine Pilgerstätte für Radfahrer aus allen Ecken Europas, die sich den großen Bergen verschrieben haben - und vielleicht ist es der Anblick derer, die sich auf den Weg nach oben machen oder, warm eingepackt, vom Col de Tempête zurückkommen, vielleicht ist es auch der Drang, die Sache zum Abschluss zu bringendie letzten Meter, was uns nach einem ausgiebigen Mahl in der Mittagshitze dazu treibt, den Gipfel noch heute anzugehen. Um 17.25 Uhr stehen wir oben, eingehüllt in die frostigen Nebelschwaden, die den Gipfel belagern. Es ist wie jedes Mal, wo uns diese Ankunft vergönnt war, ein berauschender Moment, dort zu stehen, fast zweitausend Meter über dem Meer, das uns verborgen bleibt, und siebenhundert schwere Kilometer weg vom Komfort der beheizten Stube zu Hause. Als Sieger kehren wir zurück nach Bédoin.

die SigerIrgendwann wird der Schwindel natürlich auffliegen, der die Einheimischen glauben lässt, dass es eine besondere Spezies von Menschen sei, die hier vom Frühjahr an tagtäglich den Mont Ventoux hoch und runterfährt. Die Jugend in der ganzen Welt ist uns auf den Fersen. Es ist absehbar, dass sie auch hier das Rad als das dem Menschen von höchster Ebene zugedachte Fortbewegungsmittel erkennt und die ersten Mobilitätsversuche macht. Bédoin am AbendUnd feststellt, dass man als ganz Gewöhnlicher durch schlichtes Treten den Gipfel erreicht. Natürlich wird diese Generation dann auch merken, dass man nicht nur nach oben, sondern auch in die Ferne fahren kann. Wir sind angezählt. Ich sehe uns jetzt schon in einem der Straßencafés unter den ausladenden Platanen Bédoins, umgeben von Scharen von Nachwuchskräften, die beflissen ihre Erfolgsmeldungen in die Handys hacken, während wir, die Pioniere, etwas museal daneben sitzen. Unsere Entzauberung werden wir mit Fassung tragen und ganz altmodisch, wie ehedem, in Feiertagsstimmung an unserem Pastis nippen.

Strecke:

66 km

Zeit:

4:13 h

Schnitt:

15,7 km/h

Höhendifferenz:

1950 m

Gesamtstrecke (bis Mt. Ventoux)

720 km

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