Freiburg – Rang

Dienstag, 12. Februar 2019


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Ich habe einen guten Bekannten, der das Leben in all seinen Facetten liebt, besonders, wenn er mit seinem Rad im Süden unterwegs ist. Was er nicht so liebt, sind die Menschen, jedenfalls ab einer gewissen Anzahl, weil Menschen in größeren Zusammenhängen ganz allgemein – und nach seiner Meinung besonders hierzulande – mit ihrer grassierenden Regulierungswut die Komplexität des Daseins ins Unermessliche steigern – eine Erscheinung, die bei ihm Schwellungen am Hals hervorruft. Seit Jahren baut er darauf, dass endlich aus den Tiefen des Alls ein Komet auftaucht, der dem irdischen Treiben im Großen und Ganzen eine Ende setzt. Insgeheim geht er wahrscheinlich davon aus, dass er den Kometeneinschlag überlebt. Um bis dahin jedoch nichts zu verpassen, hat er seine berufliche Laufbahn für beendet erklärt und radelt durch die eine oder andere Ecke dieser Welt. Zwischendurch lässt er sich für ein paar Kaltgetränke in Deutschland sehen.

Eine dieser Gelegenheiten schien mir – im Kontext einer winterlichen Hochdrucklage – günstig, um ihn von seinen solitären Umtrieben abzubringen und für eine mehrtägige Wintertour nach Lyon anzuwerben, ehe uns womöglich doch noch der Komet zuvorkommt. Wir werden uns auf Nebenstraßen fortbewegen und selbstverständlich größere Menschenmengen, so gut es geht, meiden. Wir werden uns auf die vier wichtigsten Säulen des Lebens beschränken: Essen, Trinken, Schlafen, Radfahren. Noch irgendwelche Bedenken? Nein. Die Zusage kam postwendend.

Der Himmel hält sich bedeckt, als wir uns gegen 9:30 Uhr auf den langen Weg machen – zunächst über kleine, feuchte Straßen nach Freiburg und dort durch die Südstadt. Kurze Zeit später, in Schallstadt, nehmen wir uns die Zeit für ein zweites Frühstück und einen kleinen Wärmeschub, wie ihn Bäckereien generell verheißen. Der Geruch frischen Gebäcks und dampfenden Kaffees kontrastiert mit der ausgekühlten Winterwelt jenseits der großen Frontscheibe, hinter der wir auf unseren Barhockern sitzen.

Wieder auf der Straße, fröstelt der kahle Batzenberg zu unserer Rechten vor sich hin, die Reben strecken ihre Stummel in den eisigen Morgennebel. Zu unserer Linken stoßen die Schwarzwaldberge mit ihren weißen Nasen gegen die düsteren Nebelbänke – ein Winterstillleben, durch das für kurze Zeit zwei Radfahrer gleiten. Dann versinkt die Szenerie wieder in winterlicher Starre. Neben uns im Tal sind vereinzelt Motorfahrzeuge zu sehen. Als Maler würde ich sie einfach weglassen.

am KanalEine erste Schieflage droht bereits bei Mulhouse, das wir gegen Mittag erreichen - die zweite der vier Säulen beginnt zu bröckeln. Mein Reisegefährte schwört bei seinen Fahrten der klaren Struktur wegen auf ein veganes Elf-Uhr-Getränk, das längst überfällig geworden ist. Erst ein Dutzend Kilometer später, unweit vom Rhein-Rhône-Kanal, tut sich ein Imbiss auf, der noch warmes Essen serviert und den heillos verspäteten Elf-Uhr-Trunk. Unsere Wahl fällt auf einen Tisch direkt neben dem Heizkörper, der feuert, was die Rippen hergeben. Die Jacke ziehe ich trotzdem nicht aus, erst einmal müssen die Wärmedepots wieder in Ordnung gebracht werden. Dann aber kann man sich mit der Idee, bereits in der siebten Woche des Jahres, die angestammten Trainingsreviere zu verlassen, langsam anfreunden.

Um 14 Uhr verriegelt der Chef hinter uns die Pforten und und wir folgen unter aufgelockerter Bewölkung weiter der Eurovelo 6, der wir unter anderen Umständen bis zum Atlantik folgen könnten. Das aber hieße tagelanger Gegenwind – und der Wind ist bitterkalt. Dann lieber Lyon, eine der bedeutendsten Städte Frankreichs und genau auf der Grenze zu dem, was mir als Süden gilt. Der Radweg ist in dieser Saison unbelebt, verständlicherweise.

vor MontbéliardIn der kurzen Blüte des Nachmittags, mitten in Montbéliard, steht meinem Mitfahrer erneut der Sinn nach einem veganen Zwischengetränk und es liegt mir fern, ihm diesen schlichten Wunsch zu verwehren. Ein Grund zum Anstoßen findet sich immer, zum Beispiel, dass wir der Winterkälte die ersten hundert Kilometer abgetrotzt haben, dass ich in meinen Zehen noch Leben spüre, dass seit geraumer Zeit die Sonne zwischen den Wolken hindurch schimmert oder dass wir überhaupt unterwegs sind – so viele Gründe, dass eine Bestellung allein eigentlich gar nicht ausreicht. Draußen stehen unsere Räder in der Kälte und ich würde ihnen am liebsten eine Schale Hafer hinstellen.

Bei Einbruch der Dunkelheit erreichen wir Isle-sur-le-Doubs. Unweit davon liegt unsere Unterkunft, es ist also an der Zeit, den Abend gründlich vorzubereiten. Der ortsansässige Supermarkt bietet alles, um uns für diesen frostigen Wintertag auf der Straße zu entschädigen, und das Gewicht unseres Gepäcks dürfte sich nach dem Passieren der Supermarktkasse annähernd verdoppelt haben. Die Winterabende können, wie wir wissen, schrecklich lang sein.

Unsere Privatunterkunft liegt direkt an der Hauptstraße im nächsten Ort. Unsere Gastgeberin wirkt etwas derangiert, als sie die Tür öffnet und in der in der Dunkelheit zwei wildfremde Männer mit Rennrädern vor ihrer Tür stehen. Sie habe uns erst für morgen erwartet, gibt sie zu Protokoll und fügt zu ihrer Entschuldigung hinzu, dass ihr neues Smartphone noch Probleme mache. Sie führt uns dann aber ohne Umschweife in den ersten Stock des Hauses, das noch einen gewissen Baustellencharakter hat, und entrümpelt dann mit gezielten Maßnahmen das kleine Gästezimmer. Es ist beheizt. Und so schlägt schon bald die Stunde der philosophischen Dialoge, die trotz 150 Kilometer Tagesleistung von enormer Schärfe und Brillanz sind und sich mit jedem Schluck Rotwein noch steigern. Zumindest, soviel lässt sich am nächsten Tag noch rekonstruieren, sind sie unterhaltsamer als Selbstgespräche.

Strecke:

153 km

Höhendifferenz:

600 m

Fahrzeit:

6:48 h

Schnitt:

22,5 km/h

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