Ornans - St. Etienne-de-Geoirs

Donnerstag, 14. April 2005


| Strecke |

Schlag fünf Uhr morgens kehren wir Ornans den Rücken. Am Ortsausgang wärmen sich die Männer der Müllabfuhr in ihrem Laster bei laufendem Motor auf, ehe sie noch in der Dunkelheit mit ihrer Runde beginnen. Sie werden sich fragen, was wir um diese Zeit auf der Straße zu suchen haben. Der folgende Anstieg vertreibt die Müdigkeit und macht warm. Schön wäre es gewesen, wenn bereits irgendwo ein Café geöffnet hätte, aber so muss das Frühstück warten. In Levier, viele Hügel und fast 30 Kilometer später, gönnen wir uns dieses Vergnügen: frische Croissants vom Bäcker und heißen Café au lait. Von der Wand hinter der Theke werfen uns  knapp bekleidete Pinup-Girls aufmunternde Blicke zu. Als hätten wir mit den Reizen dieser Mittelgebirgslandschaft nicht schon genügend zu kämpfen. Das Wetter verheißt Gutes: aufgelockerter Himmel, langsam, aber stetig steigende Temperaturen. Allerdings hat auch der Gegenwind wieder zugelegt.

zweites Frühstück in Bief-les_MaisonsAuf dem Programm steht heute die Nord-Süd-Route durchs Jura; kleine Straßen, die sich an den Hügeln entlang winden. Die Stille der Landschaft wird nur vereinzelt durch Autoverkehr unterbrochen. Der Morgen wird zu einem ruhigen Dahingleiten, nach dem zweiten Frühstück in Bief-des-Maisons wird es Zeit, die äußerste Klamottenschicht abzulegen. Trotz aller Atmungsaktivität staut sich der Schweiß darunter und nach über zwölf Stunden in dieser Verpackung tut es gut, den Fahrtwind wieder auf der Haut zu spüren. Frische französische Landluft, erfrischend, immer noch kühl, von Süden her zu uns getragen. Wir arbeiten uns dezent voran: Les Planches, der Anstieg nach Foncine-le-Bas, St. Laurent, dann die D 437 nach St. Claude. auf dem Weg nach St. ClaudeVereinzelte Reste von Schnee - Schnee, der so sauber in der Sonne blinkt, dass er wohl erst kürzlich gefallen sein muss. Es ist schwer vorstellbar, dass morgen, wie vom Wetterbericht angekündigt, in der Provence Regen fallen soll. Was auch kommen mag, diese Kilometer sind ein Genuss, erst recht, als 15 Kilometer vor St. Claude die Abfahrt beginnt - ein unerwartetes Geschenk.

St. Claude kenne ich von meiner letzten Durchquerung bei Nacht und bin nun doch etwas ernüchtert, als wir zur Mittagszeit auf die Stadt zurasen: eine Stadt ohne den provinziellen Charme, wie ihn viele Städtchen gerade in Frankreich besitzen. Die Innenstadt ist geprägt von Autoverkehr und Parkplätzen. Zeit für einen schnellen Imbiss, bevor wir den ersten ernsthaften Pass unter die Räder nehmen: den Col de la Croix de la Serra, mit 1049 m kein Riese, aber mit zwölf Kilometern Steigung trotz allem ein ernstzunehmendes Hindernis auf unserem Weg. Die Auffahrt beginnt mit einem kurzen Verdauungsschläfchen in der Sonne - 15 Minuten, mehr nicht. Und dann ist es soweit: wir fahren mit kurzen Hosen und kurzärmlig - Urlaubsgefühle kommen auf... der Rhône vor BelleyAuch beim nun folgenden Anstieg geht uns der Gesprächsstoff kaum aus. Es ist schon eigenartig: nun sitzen wir seit nahezu 24 Stunden Seite an Seite auf dem Rad und wir reden immer wieder von Radtouren, Langstrecken, vom Schimmer unserer  Titanrahmen, von Landschaften, von Stimmungen, Lebenseinstellungen. Wie schnell können Touren entlang der Belastungsgrenze - mit Schlafdefizit, Gegenwind, endlosen Hügelketten - die Moral und das Klima zwischen den Agierenden vergiften. Aber nichts dergleichen: Urban macht stoisch Tempo und sieht, was unsere Fahrt betrifft, alles positiv.

Mit einem Mal wird die D 991 topfeben, wir touchieren den Strom der Provence: den Rhône. 19 Uhr: Pizza-Stopp in Belley. Ein freundlicher Herr, Mittfünfziger, erzählt uns freudig von seinen MTB-Touren, während wir auf dem Platz am Ortskern unsere Pizza reinschaufeln. Nach kaum mehr als einer halben Stunde sitzen wir wieder im Sattel; mit Knielingen, langem Unterhemd, Windweste. Die nächste, die wohl letzte Nacht auf dem Rad steht an.vor St. Genix

Ganz normal ist es sicher nicht, seinen Urlaub dafür zu missbrauchen, in möglichst kurzer Zeit zum Mt. Ventoux zu radeln. Aber jeder hat seine Träume. Bei anbrechender Nacht setzt wieder dieses Frösteln ein, das nicht von der Kälte kommt, sondern von der Verwegenheit unseres Vorhabens. Deutlich über 400 Kilometer liegen hinter uns und die nächsten Stunden werden uns noch einmal eine gute Strecke weiterbringen. Die Scheinwerfer schneiden ihr Stück Weg aus der Nacht, wir folgen dem Lichtkegel, tretend, tretend, tretend. D 592, D 73, D 154. Ortschaften huschen an uns vorbei, die wir kaum noch wahrnehmen.

In St.Etienne-de-Geoirs steigen wir nach kurzer Diskussion über den Lagerplatz Schlag Mitternacht von unseren Rädern, legen uns auf einer Wiese an einem kleinen Flusslauf ins feuchte Gras. 498 Kilometer zeigt mein Computer und ebensoviel der Streckenplan.

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