Vom Schweigen der Männer

ARA Breisgau: 300 Kilometer     Kirchzarten, 4. Mai 2013, 8 Uhr


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Es wäre ein Leichtes, ein neuerliches Klagelied über die Witterungsverhältnisse im Südbadischen Anfang Mai des Jahres 2013 anzustimmen - ein Wetter, das geradezu rufschädigend ist für die Audax-Bewegung im Breisgau. Die Geschichte könnte sich in den kühlen Nebelschwaden des Schwarzwaldes verlieren und im Selbstmitleid ebenso wie im feinen Nieselregen baden, der zusammen mit den Niederschlägen der vergangenen Tage den kurzen geschotterten Abschnitt zum Rinken hoch so weich macht, dass die Rennreifen wie Messer in den Boden schneiden. Die Story könnte auch den aussagekräftigen Titel tragen: Zähneklappern im Albtal. Ich werde davon absehen.im Zastlertal

Der Fokus richtet sich dieses Mal ganz ausschließlich auf den Kern des Brevetfahrens - eine Würdigung all jener Leute, die trotz bescheidener Wetter- und überschießender Höhenmeterprognosen zum Bölchen-Brevet leibhaftig erschienen sind; die keine Mühen gescheut haben, dem ohnehin schon mühseligen Dasein noch ordentlich eins draufzusetzen.

Die armen Hunde, die Samstagmorgen um acht Uhr in Kirchzarten nahe des Campingplatzes Gassi geführt werden, schütteln unverständig Lockenpracht und Bürstenschnitt angesichts der vielen merkwürdigen Gestalten, die sich mitsamt ihrer Räder vor dem morgendlichen Grau abheben. Sie wissen um ihr Hundefutter zuhause und alle Abenteuerlust ist ihnen zumindest an solchen Tagen fremd. Selbst der Mensch am anderen Ende der Leine wird zu dieser Stunde von anderen Sorgen bewegt. Er weiß um seine anspruchsvolle Rolle als Stütze der Familie und der Gesellschaft und ist damit voll und ganz ausgelastet. Im Übrigen hat auch er sein Futter zuhause, wenn er nicht gerade gähnend zum Bäcker schlurft. Wir sind froh, dass es solche Menschen gibt. Es sorgt für Kontrast.am Rinken

Das Futter der radelnden Heroen - nennen wir die Dinge beim Namen - liegt nicht im Brotkorb, sondern auf der Straße. Es ist die Straße. Dieses verführerische, graue Asphaltband, das mitten hinein in den dunklen Schwarzwald führt, ostwärts, der Wolkenfront entgegen. Die Straße der Helden verläuft niemals flach und niemals gerade. Sie sind dazu verurteilt zu leiden.

Eine Stunde später schleichen die Ersten der Karawane über den Sattel am Rinken, einer nach dem anderen. Der höchste Punkt der Tour ist bereits erreicht. Die engen Serpentinen, an deren Rändern noch immer Schneereste auf den Gnadentod warten, liegen unter uns. Die karge Nebellandschaft rings herum hat im fahlen Licht etwas Gespenstisches. Es wundert mich, dass hier oben noch keine Krimis gedreht wurden. Auf jeden Fall ist dies die passende Kulisse für Menschen unseres Härtegrades. Ich ziehe den Reißverschluss der Regenjacke bis unters markante Heldenkinn zu. Für diesen Moment habe ich mich die letzten Tage extra nicht rasiert.

im AlbtalNoch weiß keiner von uns wirklich, was ihm heute noch alles blüht. 4400 Höhenmeter hören sich zwar Respekt einflößend an, aber der Mensch hat im  eigentlichen Sinne keine Sensoren für solche Maßangaben und spürt erst zu gegebener Zeit, dass es wirklich weh tut. Noch ist die Zeit nicht gekommen, Rinken hin oder her. Auch die Anstiege Richtung Feldberg: nicht der Klage wert. Die drei Männer um mich herum sind echte Männer. Kein Wort zuviel wird gesprochen. Je härter, je schweigsamer. Wir biegen vor dem Schluchsee ab, der nächste Pass wartet auf uns: das Äulemer Kreuz. Die Stille wird lediglich unterbrochen vom Tretlagers eines der Männer, in dessen Inneren es knackt und rumort, als wollte es sich in Kürze übergeben.

am BölchenHinunter nach St. Blasien, erste Kontrolle: Erholung im Nieselregen. Weiter zum Rheinknie. Man muss wirklich anerkennen, dass Schweigen die Tugend ist, auf die sich Männer am besten verstehen. Mit Tunnelblick rast jeder von uns vier von der Rheinbrücke bei Laufenburg wortlos ins Schweizer Jura hinein. Pro Mann und Stunde Fahrzeit fällt durchschnittlich ein Satz. Es ist ausreichend, um die wesentlichen Dinge zu kommunizieren. Man wirft einen Blick auf die furchterregenden Kalkwände vor sich, die das Jura auszeichnen, auf die steilsten Straßen, die man je in seinem Leben befahren hat, und man denkt in dieser schweren Stunde nichts Gutes. Man behält es besser für sich. Die Erfahrung lehrt uns ohnehin, dass wir meistens das Falsche sagen.

Im Bölchenhaus, der zweiten Kontrolle, kann man Gesprächsfragmente erhaschen, aus denen hervorgeht, dass die Belastungsgrenze für ein 300-Kilometer-Brevet erreicht ist. Ich versteige mich zur Aussage, dass ab jetzt nur noch lockeres Ausrollen angesagt ist. Aber als Mann sagt man ja ohnehin immer das Falsche.Scheltenpass

Nach den Einroll-Bergen bis zum Bölchenhaus nun also die Ausroll-Berge. Der namhafteste unter ihnen ist der Scheltenpass mit seinem fulminanten Abschluss hoch auf 1051 Meter. Längst bereue ich, übersäuert und schweißnass, mein albernes Gerede von vorhin. Es ist gut, dass in unserer Gruppe kein Wort mehr als nötig gesprochen wird, um weitere Fehlprognosen abzuwenden. Im Nachhinein wäre allerdings anzumerken: Wer es bis hierhin geschafft hat, darf sich zu den wirklich Harten zählen. Feldbach

Die wirklich Harten kämpfen sich noch durch bis Ferrette, legen an der romanischen Kirche von Feldbach eine kurze Pause ein, während sie nach der Lösung für die Kontrollfrage fahnden.

Sonne und RückenwindWer sich auf spirituelle Dinge versteht, erbittet sich noch schnell den Segen für die restliche Heimfahrt. Es bleiben noch einhundert Kilometer durchs hügelige Sundgau und durch die Rheinebene. Würde ich nun vom lockeren Ausrollen reden, könnte ich diesmal - angesichts des Rückenwindes entlang des Rheins - recht haben.

Aber erstens fragt mich sowieso niemand und zweitens ist das Tempo so hoch, dass ich kaum das Wort locker zwischen den Zähnen hervorbringen würde.

die Helden am ZielSo ist das mit den echten Helden: Der Kampf ist erst zuende, wenn man im Ziel einrollt. Er währt bei unserem Gespann dreizehneinhalb Stunden - bei vier Personen macht das rund fünfzig Sätze. Damit war die Fahrt ausgesprochen unterhaltsam.

Wer es im Laufe des nächsten Tages zu Fuß zur Bäckerei schafft, muss sich darauf einstellen, dass ihn Hundeführer federnden Schrittes überholen und ihn die Frau hinter der Brottheke mit einem Blick mustert, der sagen will: Du kommst langsam ganz schön alt daher. Man wird es schweigend zur Kenntnis nehmen und in gewohnt knappen Worten seine Wünsche kundtun. 

 

Strecke:

301 km

Höhendifferenz:

4320 hm

Fahrzeit:

12:05

Schnitt:

25,1 km/h

Gesamtzeit

13:32 h

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