Sarre-Union - Freiburg

Dienstag, 17. Juli 2012    


| Strecke |
Der Morgen auf dem Campingplatz ist grau und windig und erfüllt von allseitigem Klagen über den miserablen Verlauf des bisherigen Sommers. Die Verwalterin der Anlage hatte noch am Abend versprochen, mir heute früh Kaffee zu machen. Sie hält ihr Versprechen und schickt mich schon mal hoch zu einem großen, menschenleeren Saal, an dessen Tischen in guten Zeiten fünfzig, vielleicht auch achtzig Gäste Platz finden würden. Ich lese mich durch einen Stapel alter Zeitungen, was einen gewissen Reiz hat, da die gegenwärtig stattfindende Tour de France selbst in Provinzblättern großes Echo findet. Als ich schon wieder gehen will, kommt auch sie und serviert mir endlich den versprochenen Kaffee und zwei Croissants vom fahrenden Bäcker. Ich bin wieder versöhnt.der Saar-Kohlekanal

Der Saar-Kanal, auch Saarkohlekanal genannt, ist nur einige Kurbelumdrehungen entfernt. hindernis auf dem TreidelkanalIm düsteren Morgenlicht erhält er Züge von jenen alten Fotografien in Sepia, als läge der Kohlestaub von Jahrhunderten noch in der Luft. Nur wenig hat sich hier in den letzten Jahrzehnten wohl geändert. Kohle wird wohl längst keine mehr verschifft. Der Treidelweg, auf dem ich nun Richtung Süden fahre, wurde asphaltiert, die Schleusenanlagen hie und da modernisiert. Ansonsten fühlt man sich hier außerhalb der Zeit. Wäre nicht dieser Wind, der mich mit Wucht in die Gegenwart zurückholt. Er bläst von vorn. 

am Rhein-Marne-Kanaldin KanallandschaftDie Kanallandschaft ist dennoch beeindruckend. Bisweilen führen die Wasserwege mitten durch Seen hindurch, wo Angler mit unendlich viel Zeit ihrer Beute nachstellen. Man fragt sich, was ihnen durch den Kopf gehen mag, während sie regungslos auf das Gewässer starren. Vermutlich nichts. Sie müssen erleuchtet sein. Wie sonst kann man es stundenlang mit einer Angelrute in der Hand aushalten?

Am Rhein-Marne-Kanal, nach 30 Kilometern, biege ich links ab, Richtung Osten, um mich bei erster Gelegenheit zu verfahren, da der Radweg plötzlich endet. So komme ich immerhin unerwartet in den Genuss von frischem Gebäck aus einer Boulangerie am Wegesrand. Danach finde ich mich unversehens auf holprigen Waldwegen wieder. 

Ich halte auf den Col de Donon zu, zunächst auf einer alten Bahntrasse, später auf der D 44. In der Auffahrt hole ich einen Niederländer ein, dessen Gepäck in krassem Gegensatz zu meiner minimalistischen Ausrüstung steht. Er befindet sich auf dem Weg nach Chamonix und berichtet von drei Tagen Dauerregen in den Ardennen. Da sei er froh an jedem noch verbliebenen trockenen Kleidungsstück. Das will ich gerne glauben und bin glücklich, dass ich bisher nur wenige Tropfen abbekommen habe.

SaarquelleDer Col du Donon ist schön zu fahren: ruhig und ohne Tücken. An der Quelle der Saar halte ich einen Moment an - ein kleines Rinnsal. Talwärts wird es anschwellen und den ganzen Staub und Dreck von uns Menschen in den Niederungen aufnehmen und dem Meer zuführen, ehe es sich wieder klammheimlich in Luft auflöst, um als Regenfront zu uns zurückkehren. Geschieht uns ja eigentlich recht.

Auch heute ändere ich meine Pläne. Ursprünglich wollte ich westlich des Vogesenhauptkamms in Richtung St. Dié fahren. Angesichts der Umstände entscheide ich mich nun aber nach der Passhöhe für die Abfahrt nach Schirmeck und den direkten Weg nach Freiburg zurück: hundert Kilometer und ein schmerzhafter Anstieg auf über tausend Meter.

Konzentrationslager StruthofDas ehemalige Konzentrationslager Struthof liegt am Weg. Insgesamt 50 000 Gefangene waren hier zwischen 1941 und 1945 interniert, über 20 000 starben durch Hinrichtungen oder an den Folgen der unmenschlichen Arbeits- und Lebensbedingungen.  Während ich hier an einem der Picknicktische am Rande raste, bricht, obwohl es sich zunehmend angedeutet hatte, für mich doch überraschend die Sonne durch die Wolken. Was für eine Wohltat, wenn die düstere Welt plötzlich wieder in Farben erscheint. Für die Toten des Naziterrors behielt sie bis zum letzten Atemzug ihr kaltes Grauen. zurück am Rhein

Meine Laufräder rollen ostwärts zurück ins Breisgau, mühelos. Die Vogesen verlieren zunehmend an Höhe, öffnen sich zur Rheinebene hin. Blauer Himmel steht über mir. In Villé lege ich auf den Treppenstufen einer Bäckerei die letzte Rast ein, dann genieße ich den ersten und gleichzeitig letzten Streckenabschnitt dieser Tour mit echtem Rückenwind. Wo der Rhein gestern Morgen noch die ersten grauen Wolkenbänder spiegelte, leuchten heute Abend auf seiner Oberfläche die Farben des Sommers. Die Luft ist warm. Vielleicht kommt es ja doch noch, das ersehnte Hoch. 

 

Strecke:

209 km

Zeit:

9:52 h

Schnitt:

21,2 km/h

Höhendifferenz:

1900 m

 

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