Freiburg - Ornans

Mittwoch, 13. April 2005  


| Strecke |

StreckenplanApril gilt im allgemeinen nicht als der Monat für Traumurlaube - zu unbeständig, regnerisch, zu kühl. Allen Wettervorhersagen zum Trotz setzen wir uns dennoch an diesem Mittwochnachmittag aufs Rad, um unser Glück zu versuchen - Urban Hilpert, PBP-Finisher 2003, und ich. Ziel: der Col des Tempêtes, Gipfel des 1903 m hohen Mt. Ventoux. Rückkehr: spätestens Sonntag nacht. Es bleibt also nicht allzu viel Zeit, um die Strecke von 700 km zurückzulegen. Immerhin sind wir mit nur leichtem Gepäck ausgestattet - Klamotten plus Schlafsack und Biwaksack - aber auch das bedeutet in dieser Jahreszeit zwei prall gefüllte Lowrider-Taschen.

Gegen 14.30 h stürzen wir uns ins Verkehrsgetümmel, lassen die Breisgaumetropole auf kürzestem Weg hinter uns, tauchen wenig später am südlichen Ende wieder auf, saugen erwartungsvoll die Luft ein, die der Wind aus Süden heranbläst. Das Abenteuer lockt.der Start in Freiburg

Rund 10 km später lockt ein mir bis dato unbekannter Weg, der eine Abkürzung nach Bad Krozingen verspricht, aber letztendlich zu einer Ehrenrunde durch die Markgräfler Weinberge führt. Also zurück auf bekannte Wege und gegen den Wind gestemmt, der Nachmittag ist noch jung. Gegen sechzehn Uhr passieren wir die Grenze bei Neuenburg, drehen gen Süden Richtung Ottmarsheim, wählen den schmalen Radweg quer durch den Vorstadtwald von Mulhouse. Das Elsass zeigt sich hier von seiner flachen Seite, und so bleibt es auch, als wir die Industriestadt entlang des Rhein-Rhône-Kanal durchquert haben und dem Kanal folgen, bis der Radweg gut 20 Kilometer später in eine unappettitlichen Holperstrecke übergeht. Der erste Blick auf den Streckenplan, der uns den Weg zum Mt. Ventoux weisen soll - in Folie geschweißt, allem eventuellen Regen trotzend. Erste Hügel melden sich, werden weggebügelt. Wir fahren nicht schnell auf diesen kleinen, von gefälligen Wiesen und Wäldern gesäumten Straßen, aber zügig genug, um das Kilometerkonto annähernd im Zweiminutentakt zu erhöhen.

Außer Landwirtschaft hat diese Gegend wenig zu bieten; immerhin ziert in Morvillars ein kleines Lebensmittelgeschäft die Durchfahrtsstraße. Wir haben die ersten hundert Kilometer hinter uns, Zeit für letzte Einkäufe, eine kurze Rast und die Vorbereitungen für die Nacht: Unterwäsche verdoppeln, Armlinge hochziehen, Leuchtweste herauskramen, Überschuhe überstreifen, Lichter in Position bringen. Proviant für die NachtDie Trinkflaschen sind bis zum Rand gefüllt, auch unsere Bäuche - aber was heißt das schon bei so einer Tour? Nicht selten tut sich 30 Minuten später an der selben Stelle bereits wieder ein bemerkenswertes Loch auf. Wir rollen weiter und hinter uns senkt sich der Rollladen unseres Geschäfts. Halb acht.

Die Durchfahrt durch Montbéliard klappt wie am Schnürchen - nicht ein Blick auf die Karte ist notwendig. Wir biegen ein auf die N 463 und legen kurz darauf den nächsten Stopp ein: Zeit für volle Beleuchtung. Die Nacht hat begonnen. Der glatte Asphalt der Nationalstraße läuft unter unseren Rädern durch. Wir queren den Doubs bei L'Isle-sur-le-Doubs, unterbrechen unseren Flug nach Süden für eine Pommes-Pause. Außerhalb der Imbissbude hat es empfindlich abgekühlt und die heißen Pommes schicken ihre warmen Grüße bis in die kühlen Fußspitzen.

Wir folgen der N 83 bis Clerval, drehen in der Ortsmitte nach rechts, folgen der schmalen D 319 in die Dunkelheit. Das Jura offenbart hier seinen hügeligen Charme. Urban ist, schon wie den ganzen Nachmittag über, nicht zu bremsen, ich folge in meinem Tempo, fühle mich aber gut und immer noch voller Energie. Die Wolken des Nachmittaghimmels hat der Wind verblasen - eine klare Sternensicht bietet sich dem Blick, wenn er sich dann und wann von rauen Asphalt lösen kann. Die Temperaturanzeige auf dem Tacho sinkt stetig, zeigt nur noch knapp über 5°C an. Aber die Berge halten uns warm. Wir erreichen kurz vor Baumes-les-Dames die Kuppe, von wo ein kleines Sträßchen hinunterführt nach Pont-les-Moulins. Ein Denkfehler führt mich auf die falsche Fährte: unnütze dreieinhalb Kilometer fahren wir die D 52 nach Osten, aber die Strecke ist ein Traum: kein Auto, Totenstille. Das erste Mal, dass wir die Landkarte zücken, um den Irrtum aufzuklären. Die richtige Straße, 3,5 km zurück, hält einen satten Anstieg bereit, ehe der Streckenplan uns nach rechts schickt auf die D 492 - die letzte Straße des heutigen Tages. Man kann sich der Gleichförmigkeit seiner Tretarbeit hingeben, muss keine weiteren Gedanken an die Route verschwenden. Längst sind wir sehr einsilbig geworden, fahren mal schweigend nebeneinander, mal hintereinander, den Blick stur auf den Lichtstrahl der Scheinwerfer gerichtet. harte Zeiten in OrnansIch spüre, wie mich die Müdigkeit von hinten überrollt, beginne erst zu gähnen, dann für Bruchteile von Sekunden die Augen zu schließen, dann etwas länger und irgendwann bekomme ich sie fast nicht mehr auf, während das Rad weiter über die einsame Landstraße rollt. Im Sekundenschlaf fahre ich Schlangenlinien. Ich schließe zu meinem Weggefährten auf, versuche ein Gespräch anzufangen, aber an diesem Punkt sehnt sich keiner nach Unterhaltung, sondern nach Schlaf. Wir sind knapp 30 km auf der D 492, als sich endlich die Abfahrt nach Ornans vor uns auftut. Die Kälte rüttelt noch ein letztes Mal die Lebensgeister wach, aber in Ornans, so der Stand der Dinge, machen wir für heute Schluss. Es ist 1.30 h und hinter uns liegen 220 Kilometer, als wir uns am Ortseingang der Stadt in einem der für Frankreich typischen Waschhäuschen mit den langen Wasserbecken im Schlafsack auf den kalten, betonierten Boden legen und letzte Nahrung und einen letzten Schluck aus der Flasche zu uns nehmen. Das Rauschen des Brunnens geht nahtlos in kurzen, oberflächlichen Schlaf über. Der Wecker ist für 4.30 h gestellt. Die Temperatur ist auf 3° gesunken.

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