Imst - Prad

Dienstag, 26. August 2008    


| Strecke |
InntalMit das Schönste am Campingplatz in Imst ist, dass er über einen kleinen Aufenthaltsraum mit Kaffeeautomat verfügt. So drehe ich frühmorgens eine kleine Schleife durch die Stadt und kommt mit einer Tüte Gebäck zurück, während das Zelt in der Sonne zum Trocknen hängt. Morgens sind die Temperaturen doch noch empfindlich gefallen, so dass ich das Zelt zugemacht habe. Entsprechend viel Tau hängt nun an den einfachen Innenwänden - ein Preis, den ich für das geringe Gewicht in Kauf zu nehmen bereit bin. Der Kaffee schmeckt wie Automatenkaffee. Trotzdem behandle ich den Automaten wie einen Freund, dem man sein letztes Geld anvertraut. Sein letztes Kleingeld jedenfalls. Es reicht für genau vier Becher. Zur frühen Morgenstunde ist die Fahrt durchs Inntal weniger schlimm als befürchtet, die parallel dazu verlaufende Autobahn zieht das Gros des Verkehrs ab. Erst im Ötztal schwillt der Verkehr wieder an, der Schwerlastverkehr beschränkt sich aber nur auf Zulieferer der Orte Oetz, Umhausen und Sölden. Danach ist für die Laster Schluss. Es reicht auch so. Ötztal

Wie nicht anders erwartet kommen mir ab Oetz die ersten Radfahrer entgegen. In wenigen Tagen findet von Sölden aus der Ötztaler Radmarathon statt, und viele der insgesamt 4000 Teilnehmer sind bereits angereist um die Runde über Kühtai, Brenner und Jaufenpass in Augenschein zu nehmen. 5500 Höhenmeter stehen ihnen bevor. Ich begnüge mich zunächst mit den 60 Kilometern Anstieg zum Timmelsjoch. Meist flach verläuft die Straße durchs Tal der Ötztaler Ache bis Sölden, von Zeit zu Zeit aufgelockert durch kleinere Anstiege. So schraubt man sich fast unmerklich um 500 Meter auf 1360 Meter über dem Meeresspiegel hoch. Enttäuscht braucht deswegen niemand zu sein: Es verbleiben immerhin noch über 1100 Höhenmeter auf den restlichen 21 Kilometern zur Passhöhe.

Ein blauer Himmel brilliert über dem kantigen Gebirge. In Sölden versorge ich mich mit allem Wichtigem für den Weg auf den höchsten Punkt meiner Tour. Ich habe nicht viel Stauraum für Essenswaren, und das hat durchaus Vorteile: man spart auch dadurch an Gewicht. Einmal mehr bin ich froh an den wenigen Pfunden, die ich über mein Körpergewicht hinaus zu tragen habe. So kann ich im Strom der radelnden Gipfelaspiranten mitschwimmen. Nach Zwieselstein geht es zum ersten Mal richtig zur Sache, ein nächstes Mal nach dem Abzweig Obergurgel. In Hochgurgel streife ich mir die Knielinge über. Die Temperaturen sind hier oben ausgesprochen bescheiden. Etliche Fahrzeuge bleiben an der Mautstelle zurück: 11 bzw. 13 € sind ein probates Mittel, um den Spaßverkehr in den Hochalpen zam Timmelsjochumindest etwas einzudämmen. Ähnliche Regelungen sind für die meisten Alpenpässe überfällig. Trotzdem gibt es noch reichlich Motorradverkehr.

Das Timmelsjoch ist ein mächtiger, beeindruckender Pass. Er verschenkt nichts. Er will mit dem ganzen Körper erobert werden. Man sieht schwer schnaufende, schweißgebadete Radfahrer sich an ihm abmühen, tief über den Lenker gebeugt. Sie stehen am Straßenrand, ringen um Atem, kämpfen mit sich und dem Schmerz. Mensch gegen Berg: ein Spiel auf Augenhöhe. All die Motorradfahrer, wie sie mit ihren aufgemotzten Maschinen gegen den Berg anröhren: lächerliche, armselige, respektlose Geschöpfe. Passhöhe

Abseits des Kommens und Gehens auf der Passhöhe packe ich meine Habseligkeiten aus und lege mein Zelt noch einmal zum Trocknen in die Sonne, während ich an die Vorräte gehe. Immer wieder schieben sich Wolken vor die Sonne. Die Luft auf 2500 Metern ist kühl.

Die Straße auf der italienischen Seite mit ihren engen Kehren ist in einen Steilhang gebaut. Eine Meisterleistung. Wieviel Schweiß wird wohl dabei geflossen sein? Der Temperaturunterschied zur Nordseite ist gewaltig. Nach zehn Minuten Abfahrt reiße ich mir die Jacke und Knielinge vom Leib. Keine Frage, ich bin in Südtirol. Irgendwo an einem Imbiss trinke ich ein Cola, fülle meine Flasche auf und komme kurz ins Gespräch mit einem jungen Rumänen, der extra für den Ötztaler Radmarathon angereist ist und heute die Strecke inspiziert. Für mich geht's weiter: Moos, St. Leonhard, Meran, der Wendepunkt.

Abfahrt nach SüdenIch habe den entferntesten Punkt meiner Reise erreicht. Obwohl mit Sicherheit ausgesprochen sehenswert, möchte ich mich nicht länger als nötig in Meran aufhalten. Ein weiter Rückweg liegt vor mir. Ich orientiere mich an der Nationalstraße 38, muss aber bald erkennen, dass sie für Radverkehr gesperrt ist. Deswegen also hat mich vorhin ein LKW in voller Fahrt und laut hupend auf den geschotterten Seitenstreifen abgedrängt. Ich war in sein Hoheitsgebiet eingedrungen. Wie also komme ich aus Meran heraus? Tatsächlich gibt es einen Radweg am Fluss in Richtung Osten, aber ich brauche mehr als eine halbe Stunde, um ihn zu finden. Zum Teil meine Schuld: soviel Service für Radfahrer habe ich nicht erwartet und ich fahre kreuz und quer, anstatt gezielt nach Radwegweisern Ausschau zu halten. Wie sich herausstellt, ist diese Route enorm beliebt - selbst auf dem Donauradweg habe ich nicht so viele Radfahrer angetroffen. Kein Wunder: er ist gut ausgebaut, folgt topfeben der Etsch und führt später weiter über den Reschenpass nach Norden. Schön ist er obendrein. Vor Schlanders verschlägt es mich allerdings versehentlich auf die enge Nationalstraße. Diesmal überholt mich ein Lastzug mit Hänger ohne Vorwarnung und bei Gegenverkehr. Uns trennen kaum zehn Zentimeter. Ich rette mein Leben durch einen beherzten Schlenker in den Straßengraben. Dort finde ich mich wieder, halb stehend, halb liegend. Diese Episode wird mich noch den ganzen Abend verfolgen: ich kann es nicht fassen, wie wenig im Straßenverkehr ein Menschenleben zählt.Obstplantagen von Prad

Ich hatte mit dem Gedanken gespielt, heute abend bereits ins Münstertal und damit Richtung Ofenpass hineinzufahren, aber als dann kurz vor Prad der Radweg für ein paar Kilometer zur lausigen Piste wird, bin ich bedient. Prad kommt wie gerufen. Ich stelle mein Zelt im Kiefernhain, dem netteren der beiden örtlichen Campingplätze, auf, kurz bevor der Regen einsetzt. Später fahre ich, noch immer im Regen, Pizza holen. Mein Abendessen nehme ich unter dem Vordach der mittlerweile geschlossenen Rezeption ein. Prad, CampingplatzEs ist wunderschön, hier im Warmen zu sitzen und auf die schwarzen Regenwolken zu starren, die sich bedrohlich vor dem Ortlermassiv aufstauen. Die Szene vom frühen Abend lässt mich nicht los: Was geht in so einem LKW-Fahrer vor? Sein Blick im Rückspiegel sagt ihm: Nix passiert... und er klopft sich auf die Schultern. Er ist eben ein ganzer Kerl. Und damit ist für ihn die Sache erledigt. Vielleicht sucht er im Radio nach einem anderen Sender, weil ihm die Musik nicht passt, vielleicht greift er zum Handy, ruft seine Frau an, um nachzufragen, was die Bambinis so treiben. Ich wünschte, ich hätte es in der Hand, diesem Menschen ernsthaft Schaden zuzufügen. Gleichzeitig bin froh, dass alle meine Knochen noch heil sind.

 

Strecke:

194 km

Zeit:

9:01 h

Schnitt:

21,5 km/h

Höhendifferenz:

3072 m

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