Agde - Barjac

Mittwoch, 6. Juli 2011    


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Ob es einem gefällt oder nicht, sein Areal auf dem Zeltplatz zu räumen: die Uhr tickt, die freien Tage sind gezählt. Zudem wollen auch andere ihr Stück vom Kuchen des Südens abbekommen: Meeresrauschen, Strandspaziergänge und Sonnenuntergang. Etwas nächtliche Musik, die der Wind vom nahegelegenen Vergnügungspark herüberträgt. Das ist Geschmacksache. Zum Schutz dieses Idylls steht tagsüber eine berittene Garde der Polizei bereit, des Nachts sorgen Wärter für die Sicherheit auf dem Campingplatz.

Bevor es aber soweit ist, setzt man sich in der mittäglichen Stille zusammen mit seiner Lebensgefährtin in ein romantisches Lokal am Ufer des Hérault, der zwischen Agde und La Tamarisière ins Meer fließt, sucht am späteren Nachmittag inmitten der Urlauberfamilien am Strand einen Zugang in die Fluten und stößt beim abendlichen Picknick in den Dünen noch einmal auf reizvolle Urlaubstage an, ehe man gemeinsam zum Bahnhof fährt und ihr, der Eiligen, in der einbrechenden Dunkelheit beim Enteilen zusieht. Der ideale Zeitpunkt, melancholisch zu werden. Im Zelt ist es trotz seiner Enge etwas einsam geworden, draußen steht mein Rad, mutterseelenallein gegen den Baum gelehnt.

der Herault bei AgdeIch bin früh auf den Beinen, und leise wie ein Dieb packe ich meine Sachen – nur keinen wecken, jetzt, wo für wenige Stunden Ruhe eingekehrt ist. Ich schleiche davon. Die Wärter, die nun kurz vor sieben Uhr ihrem Schichtwechsel entgegensehen, nicken mir mit knapper Geste zu. Nun werde ich meine Sicherheit also selbst in die Hand nehmen. Ich fasse meinen Lenker etwas fester und halte auf das Zentrum Agdes zu auf der Suche nach Kaffee und frischen Croissants. Marktbeschicker drapieren unter fröhlichem Rufen ihre Stände mit allerhand Nippes. Sie haben gut lachen: In zwei Stunden werden die Touristen über die Stadt herfallen. Ich könnte ihnen von meiner Caféterrasse aus noch lange zusehen in ihrer Ungezwungenheit. Hier quillt die Straße über vor menschlicher Wärme. Das wird sich bald ändern.

Stadtzentren sind im günstigen Fall so etwas wie geschützte Zonen, wo Menschlichkeit heranreifen und sich entfalten kann. Verlässt man sie, betritt man Kampfgebiet. Diese Grenze überfahre ich dreißig Kilometer weiter, in Sète. Sinnlose Raserei im Berufsverkehr von Ampel zu Ampel. Die Gehwege sind fast verwaist. Zwischenmenschliche Kommunikation findet über den Schalldruck am Auspuff statt, über den Abstand der Geschosse aus Blech, in dem diese an mir vorbeijagen. Er zeugt von beängstigender Respektlosigkeit.Windräder im Hinterland

Südfranzosen am Steuer sind irrationale Egomanen. Würden nur 50 Prozent von ihnen mit dem Rad fahren, kämen wahrscheinlich 75 Prozent schneller zur Arbeit. Anzunehmen ist, dass sie genau dies vermeiden wollen, um sich statt dessen im Krieg gegen die Widrigkeiten auf dem Weg dorthin zu profilieren. Der radfahrenden Widrigkeit wiederum reicht das Adrenalin auch dann noch bis in die Haarspitzen, als hinter der Zementfabrik Lafarge im Westen ein letztes Mal das Bassin de Thau im Morgenlicht schimmert.

Selbst im nahen Hinterland herrscht reger Verkehr. Eine ungeheure Dringlichkeit der motorisierten Fortbewegung beherrscht das Land. Wie Kriegsgeschrei setzt mit der zunehmenden Hitze auch das Zirpen der Grillen ein. Die Melancholie des Vorabends ist erstickt. Was bleibt, ist nur das eine Verlangen: weg von hier!

Verbale Kommunikation findet erst wieder eine Stunde hinter Sète statt. Hier stoße ich auf einen der wenigen einheimischen Radfahrer. Er ist ebenso verzweifelt wie ich, aber aus einem anderen Grund: Seine Kette ist von den Kettenblättern gefallen und ringelt sich trotz all seiner Bemühungen wie eine Natter ums Schaltwerk. Er ist der erste Mensch an diesem Tag, der so etwas wie Dankbarkeit empfindet für mich, nachdem ich ihm die Kette wieder in Ordnung gebracht habe. Anduze

In Agde war ich am frühen Morgen auf die Frage des Bäckers nach meinem Wohin etwas unvorbereitet. Und in sein erstauntes Gesicht habe ich etwas von Cévennen und Ardèche gestammelt, ohne jede genaue Vorstellung davon, wie weit ich den Abstand zu den küstennahen Kampfzonen ausdehnen könnte. Punkt zwölf Uhr, als auf dem Col de la Cornille auf 330 Meter über Meereshöhe eine Picknickbank vor mir auftaucht, schicke ich mich an, diese Frage im Laufe meines frugalen Mahles zu klären. 90 Kilometer zählt mein Tacho. Wenn alles rund läuft, würde ich tatsächlich bis zur Ardèche vorstoßen können und müsste mich nicht für den Rest meiner Tage mit dem Image des Hochstaplers plagen.

Der Run auf die Picknickbänke scheint Schlag zwölf einzusetzen. Im Minutentakt fahren Autos auf den kleinen Parkplatz, um Ausschau nach einer schattigen Bank zu halten. Ich habe meine Landkarte über die Hälfte des Tisches ausgebreitet, so dass sich niemand erdreistet, sich zu mir zu setzen. Außerdem benötige ich die volle Länge der Sitzbank für meine kurze Siesta. In diesem Punkt bin ich unerbittlich.

Die Hitze schwillt an und pendelt sich im Laufe des Nachmittags zwischen 35 und 40 Grad ein. Trinkt man genügend, ist dies mit dem Wind, der aus allen Richtungen weht, gut zu bewältigen. Allemal besser jedenfalls als der Verkehr, der auch in Alès, Zentrum des Pays Cévennes, eines Gemeindeverbandes innerhalb der Cévennen, das Stadtbild prägt. Ich komme ungeschoren und ohne Umwege durch.Kartenstudium

Meine persönliche Marschroute gilt: maximal 180 Kilometer pro Tag, ab abends um sechs Uhr Zeltaufbau auf dem Campingplatz. Damit erreiche ich Barjac. Bis ich dann allerdings auf dem Zeltplatz außerhalb bin, wird es halb sieben und die Kilometerzahl ist ebenfalls deutlich überschritten. BarjacDafür gewährt mir die Besitzerin einen Sonderpreis gegen Barzahlung und ohne das lästige Erfassen meiner Ausweisdaten. 

Abends in einer kleinen Pizzeria im historischen Ortskern von Barjac liegen wieder die Landkarten vor mir. Ich solle mich doch bitteschön nicht in den Karten verlieren, mahnt die Chefin, während sie den Teller abräumt. Sie weiß nicht, was mich umtreibt. Barjac liegt zwar am Rande der Ardèche, aber noch im Département Gard. Der Bäcker in Agde wird es mir nachsehen.

 

Strecke:

194 km

Zeit:

8:45 h

Schnitt:

22,1 km/h

Höhendifferenz:

1465 m

 

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