Notizen


Radbrillen

Ich habe sie nicht gezählt, aber es müssen einige gewesen sein. Die Rede ist von Brillen, genauer: Radbrillen. Ob transparent, gelb, rot, braun, ob mit oder ohne Wechselgläsern: ich habe mich draufgesetzt, habe sie zerkratzt oder vergessen. Die eine Brille scheuerte mich so hinterm Ohr, dass ich ihr schnelles Ende herbeisehnte. Es ließ nicht auf sich warten. Ein anderes Exemplar war offensichtlich nicht für Minusgrade ausgelegt, denn beim Absetzen nach einer Winterrunde blieb mir der Bügel hartnäckig überm Ohr hängen, während ich den Rest in der Hand hielt. Wieder 35 Euro futsch.

Schneetreiben

Ich habe ein leichtes Faible für die Extreme, aber als ich heute früh aus dem Fenster schaute, schien es mir des Guten doch zuviel. Schnee, soweit das Auge reichte. Schnee auf den Straßen und Wegen, auf den Hausdächern, auf den rauchenden Schornsteinen. Die Welt: weiß wie ein Leichentuch, und das Anfang März. Die Äste der Weiden neigten sich unter der Last fast bis zum Boden und das Dach unseres Gewächshauses bog sich unter den Mengen von Schnee geradeso durch wie jedes zweite Turnhallendach in diesen grausigen Zeiten.

Gut und gerecht

Wer Freiburg kennt, weiß: es gibt einen großen Highway in Ost-West-Richtung, die neue B 31, samt  Tunnel. Wer Freiburg gut kennt, weiß: es gibt deren zwei. Der zweite verläuft parallel dazu, gilt als Radweg und ist für Kraftfahrzeuge glücklicherweise gesperrt, aber – leider – für alle anderen freigegeben.

Windschatten

Für den Rennradler gibt es im Grunde zwei Arten, sich fortzubewegen: im Wind und im Windschatten. Im Wind: das ist der richtige Modus für abgeklärte Solisten, für kraftstrotzende Egozentriker und für echte Teamplayer. Echte Teamplayer sind aber genauso hinten zu finden, wo der Windschatten so lange der Erholung dient, bis es der Turnus - oder der Anstand - gebietet, sich wieder dieser selbsterzeugten Naturgewalt "Wind" auszusetzen, die dem Fußgänger und seiner Veredelung, dem Läufer, ja, manchem Mountainbiker, nur vom Hörensagen bekannt sein dürften.

Die Kunst des Pfeifens

Die modernen Ahead-Set-Vorbauten haben einen großen Vorteil. Sie erleichtern die Entscheidung, ob eine Klingel an den Leichtgewichtrenner kommt, ganz erheblich: es kommt keine hin. Denn Klingeln, die sich um die wuchtigen Spacer schmiegen, sind noch nicht auf dem Markt. Und am Lenker ist sowieso kein Platz. Selbst wenn: wer hat schon den Mut, sich an dieser exponierten Stelle zu einer Glocke zu bekennen. Ich nicht.

Radio im Kopf

Nun gut. Mein Computer ist inzwischen alt genug, um selbst an trüben Novembertagen mal alleine zurechtzukommen, und mit der Sonne wird es heute eh nichts mehr. Die idealen Bedingungen also, um mir die Joggingschuhe überzustreifen und mit lockeren Schritten in die Abenddämmerung hinauszueilen. Ohne mich zu hetzen, mit dem Vorsatz, zu genießen.

Krieg

Ich zähle zu der Generation – dem Schicksal sei Dank! –, die nie einen Krieg erlebt hat. Meine Eltern waren noch Kinder, als die Bombenangriffe der Alliierten zum Kriegsende hin immer schlimmer wurden. Mit ihren neun Jahren sah meine Mutter den blutroten Himmel in der Nacht des 17. Dezember 1945. Das war, als die Stadt Ulm, 80 Kilometer entfernt von ihrem Heimatort, in Flammen stand.

Ich kenne den Krieg aus Erzählungen, aus Büchern. Oft habe ich versucht, mir das Grauen in jenen Zeiten vorzustellen. Die Soldatenfriedhöfe in den Vogesen sind stumme Zeugen davon.

Müde Beine

Ein Jahrhundertsommer neigt sich seinem Ende zu. Die Beine sind müde, der Kopf voller Bilder: blühende Landschaften in der Frühjahrssonne, heißer Asphalt, ausgetrocknete Flüsse und Bäche, verdörrte Wiesen, verschwitzte Körper. Wasser, Eiskaffee, Weizenbier. Radtouren bei Kaiserwetter, früh morgens und spät abends. Die Tour de France: spannend wie seit Jahren nicht mehr.

Deutschlandtour 2003, Königsetappe

Wie er so dastand neben mir, zweihundert Meter vor dem Ziel der Königsetappe der Deutschlandtour am Feldberger Hof, im Sonntagsstaat aus schweißabsorbierenden Kunststofffasern, mit sehnigen, frisch rasierten und geölten Beinen, und, auf das Absperrgitter gestützt, andächtig auf die Großbildleinwand starrte: da wollte mir scheinen, dass man dem Radsportler als solchem eine gewisse Frömmigkeit nicht absprechen kann.