Grenoble - Montbrun-les-Bains

Sonntag, 24. März 2013    


| Strecke |
Die Nacht in der Bushaltestelle erweist sich als recht unruhig - zuviele Autos, die ihre Geschwindigkeit plötzlich auf Schritttempo drosseln, um das seltsame Gelage in diesem Holzverschlag besser in Augenschein zu nehmen. Einer fährt eine Schleife, um bei der zweiten Passage durchs geöffnete Seitenfenster zu erfragen, ob alles in Ordnung sei. Dies muss so gegen vier Uhr morgens gewesen sein, und es fällt mir schwer, danach nochmals einzuschlafen. Noch schwerer fällt mir jedoch, am Morgen meinen Schlafsack zu verlassen. Die Kälte ist geradezu widerlich und der Regen macht die Sache um keinen Deut angenehmer. Bevor sich jedoch die ersten Busfahrgäste um uns herum versammeln, stopfen wir unser Zeug wieder in die Säcke und machen uns auf den Weg. Nur wohin?

Eines wird klar, sobald wir wieder auf den Rädern sitzen: soviel Delikte kann man als Radfahrer überhaupt nicht begehen, als dass man bei diesem Schmuddelwetter seine Sünden am Col de la Croix Haute oder am Col de Menée abbüßen müsste. Hatten wir uns gestern nicht schon zur Genüge der reinigenden Wirkung einer harten Frühjahrstour unterzogen? Ich komme zur Überzeugung, dass es reichen müsste. Abfahrt in Grenoble

So werfen wir jedwede Bedenken über Bord und steuern auf regennassen Straßen den Bahnhof von Grenoble an. Dort im Viertel herrscht reges Markttreiben - die meteorologischen Bedingungen scheinen den Händlern wenig auszumachen. Bis zur Abfahrt bleiben uns zwei Stunden, die wir vorwiegend im Bahnhofscafé mit Frühstücken zubringen. Ich starre in meinen Kaffee und sehe zu, wie der weiße Milchschaum nach und nach in sich zusammenfällt. Die Krümel der vielen Croissants kleben auf der feuchten Tischplatte, während unsere atmungsaktiven Büßergewänder über den Stuhllehnen hängen und ungerührt vor sich hintropfen. 

kalter SüdenLangsam setzt sich der Zug in Bewegung, lässt das spätwinterliche Grenoble hinter sich. Zwei Stunden Fahrt nach Süden, während derer ich den fehlenden Schlaf der letzten Nächte nachhole. In Veynes-Dévoluy bleiben uns zweieinhalb Stunden Aufenthalt bis zur Weiterfahrt des Zuges nach Sisteron. Wir steuern einen Imbiss an, dessen Betreiber uns mit ungewöhnlicher Herzlichkeit begrüßt. Er muss spüren, dass er zwei zumindest im Ansatz geläuterte Menschen vor sich hat, die trotz ihres mitleiderregenden Aussehens Glanz in sein Haus bringen würden. Er umschwirrt uns mit der alleinigen Absicht, uns alle Wünsche von den Augen abzulesen. Er fragt nach, woher wir kämen, wohin wir führen. Ob alles recht sei oder ob wir vielleicht noch etwas von der oder jener Speise wollten. Auf meine Bitte hin macht noch ein paar Fotos von uns, ehe wir uns auf den Rückweg zum Bahnhof begeben.

Gorges de MéougeAls wir in Sisteron aus dem Zug steigen, zeigt sich der Himmel in unverändertem Grau. Es nieselt. Wir trinken einen Kaffee in einer Bäckerei gegenüber des Bahnhofs. Was tun? Weiterfahren? Noch einmal setzt Regen ein. Innerlich bin ich schon wieder am Fluchen. Ich glaube, ich tauge nicht zum Büßer. Wir warten weitere Minuten, bis der Schauer nachlässt. Dann gilt es: tief durchatmen und raus in die Nässe. Die Streckenwahl richtet sich nach den geringsten absoluten Höhenmetern. Die Entscheidung fällt auf die Gorges de Méouge.

SédéronIn Séderon haben wir nicht nur die eindrucksvolle Schlucht entlang der Méouge hinter uns, sondern auch knapp 50 Kilometer auf vorwiegend trockenen Straßen. Es dämmert und die Frage nach dem Nachtquartier stellt sich einmal mehr. Der örtliche Campingplatz ist geschlossen, aber mit genügend Durchtriebenheit ließe sich dort ein Plätzchen im Trockenen finden. Nachtquartier in MontbrunDer Plan scheitert allein daran, dass uns in der letzten noch offenen Gaststätte angedroht wird, dass man auch hier um acht Uhr die Pforten zu schließen gedenke. Wir ziehen uns eine weitere Klamottenschicht über und zücken die Geißel: auf zum Col de la Macuègne mit seinen 1068 Metern!

Montbrun-les-Bains erreichen wir gegen acht Uhr abends. Natürlich hat auch hier der Campingplatz geschlossen, und wieder beginnt die Suche nach einer akzeptablen Alternative, die wir in Form einer überdachten Pergola beim Schwimmbad auftun. Ein herausragender Platz,  menschenleer in der Frühsaision, mit offenen Schränken, wo wir unser Gepäck deponieren, ehe wir zurück in den Ort fahren, um zu Abend zu essen. Die Pizza ist ausgezeichnet, der Wein fließt locker hinterher. Der büßerische Elan hat merklich nachgelassen. 

 

Strecke:

73 km

Zeit:

3:38 h

Schnitt:

20,2 km/h

Höhendifferenz:

600 m

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